25 ist das neue 18. Weshalb hört die Pubertät heute so spät auf?

erschienen in der Aargauer Zeitung/Nordwestschweiz, 3. August 2015

 

Wählen gehen, eine rechtsgültige Unterschrift haben, Auto fahren, starke alkoholische Getränke konsumieren: All dies dürfen Jugendliche ab 18 Jahren, weil sie volljährig sind. Nur heisst das nicht, dass sie dann erwachsen sind. Die Pubertät hört bei vielen erst in den Zwanzigern auf. 25 ist heute das neue 18. Junge Erwachsene haben es nicht gerade eilig, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und schieben deshalb das Erwachsen-Werden immer weiter nach hinten.

Warum ist dem so? Weshalb bleiben immer mehr junge Menschen als Nesthocker bei den Eltern wohnen? Dafür gibt es einige gewichtige Gründe: Immer mehr junge Erwachsene absolvieren längere Ausbildungen, so dass sie von den Eltern finanziell abhängig bleiben. Zudem haben viele von ihnen diffuse Berufs- oder Studienziele, weshalb sie sich möglichst lange alle Optionen offenlassen wollen. Doch gibt es auch andere Gründe, die ebenso ernst zu nehmen sind, und das ist in erster Linie die neue Kultur der Überfürsorglichkeit in der Familie. Kinder wachsen heute bereits ab dem frühesten Kindesalter überbeschützt auf. Noch mit 10, 11 Jahren räumen ihnen die Eltern alle Hindernisse aus dem Weg oder lassen sie nie alleine losziehen. Auch wenn der Nachwuchs bereits 14 oder 15 ist, schweben Mami und Pappi immer noch wie Helikopter über ihnen, um bei jeder kleinsten Schwierigkeit einzugreifen und sie vom wahren Leben abzuschirmen.

Dahinter steckt eine Tragik: Zwar wollen die allermeisten Eltern nur das Beste für ihren Nachwuchs, und das ist vor allem Schulerfolg. Und sie wollen ihre Kinder glücklich machen. Leider ist das eine falsche Idee. Denn Erfolg und Glück sind abhängig vom Streben, herausfordernde Ziele mit eigener Initiative, Autonomie und der Überwindung von Hindernissen zu erreichen. Mit ihrer Überfürsorglichkeit erreichen Eltern deshalb eher das Gegenteil, nämlich dass sich ihre Söhne und Töchter schwer damit tun, Unabhängigkeit und Selbstvertrauen zu entwickeln. Deshalb werden sie bei den kleinsten Schwierigkeiten aus der Bahn geworfen, wenn sie nicht von den Eltern unterstützt werden. Dass dem so ist, sind sich viele Fachleute einig, welche mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Und auch die Forschung schlägt Alarm, dass die besorgniserregende Zunahme an Depressionen, Ängsten, Panikattacken oder des relativ neuen Rauschtrinkens Wege sind, um das Leben zu bewältigen.

Nur wäre es falsch, die Eltern allein für diese Situation verantwortlich zu machen. Genauso ist es unsere gesellschaftliche Angstkultur, welche Vätern und Müttern dauernd einredet, wie gefährlich und grausam die Welt sei und wie sehr sie deshalb ihre Sprösslinge beschützen müssten. Die Statistik spricht jedoch eine ganz andere Sprache: Kinder und Jugendliche konnten noch nie so sicher aufwachsen wie heute. Es gibt also gar keinen objektiven Grund, den Nachwuchs länger zu behüten.

Natürlich kann man sich nicht über Nacht unabhängige Söhne und Töchter schaffen. Kinder werden nicht volljährig und dadurch automatisch unabhängig. Eltern müssen sie schrittweise dazu führen. Indem sie ihrem Kind erstens schon früh ermöglichen, Dinge alleine zu tun, seine Probleme nicht selbst lösen und dabei Vertrauen haben, dass es dies auch kann. Indem sie es zweitens auch negative Erfahrungen und Fehler machen lassen. Dazu gehört das Vertrauen in die Erkenntnis, dass die Welt dadurch nicht untergeht. Und drittens sollten sie ihrem Kind zeigen, dass es in Ordnung ist, sich manchmal auch schlecht zu fühlen. Der Mensch lernt durch Erfahrung und vor allem auch durch schlechte Erfahrung.

Bis dahin scheint aber noch ein weiter Weg zu sein. Unsere Gesellschaft infantilisiert junge Menschen immer mehr. Jüngstes Beispiel ist das gut gemeinte Angebot «Uni für Eltern» der Universität Basel, das Vätern und Müttern an Elternabenden alle erdenklichen Informationen geben will. Dagegen wäre grundsätzlich kaum etwas einzuwenden. Doch verstärken solche Angebote unbeabsichtigt die Tendenz von Eltern, sich auch noch als Karriere-Coach des bereits erwachsenen Nachwuchses zu verstehen. Hätte dieses Angebot tatsächlich zur Folge, dass sich Studentenkinder auch noch an die Universität begleiten lassen – dann wünschte ich mir eine neue Rebellion der Jugend!

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