erschienen in: NZZ, 09.11., 10.

 

27 Prozent der Mütter sind nicht berufstätig, davon 50‘000 Frauen, die studiert haben. Und fast 30  Prozent entscheiden sich für ein kleines Teilzeitpensum von 50 Prozent und minimieren es noch, wenn die Kinder in die Schule kommen. Das geht nicht, findet die Wirtschaft. Gut ausgebildete Frauen sollten nicht am Herd, sondern im Beruf stehen. Und dies möglichst Vollzeit, damit ihr Humankapital nicht verloren geht.

Dies tönt nachvollziehbar, doch die Situation ist komplexer. Es gibt zwei gesellschaftliche Überzeugungen, welche Mütter mit kleinen Kindern hindern, sich in die Berufskarriere zu stürzen und durchzustarten. Die erste Vorstellung ist die der perfekten Mutter, die zweite, dass sie von Natur aus die geeignetste Fürsorgeperson ist und deshalb in den ersten Lebensjahren die Kinder selbst betreuen soll. In einer unserer Studien waren auch 66 Prozent der jungen Männer und Frauen dieser Meinung. Dass Frauen ihr Berufspotenzial nicht ausschöpfen und Männer trotz viel Gleichstellungsarbeit die Nase weiterhin vorne haben, liegt somit nicht einfach an den Frauen selbst, sondern ebenso an den vorherrschenden Normen.

Das Mutterbild ist in den 1980er Jahren stecken geblieben. Mütter können heute berufstätig sein, dürfen ihre persönlichen Ambitionen haben und eigenes Geld verdienen, sie können Kinder ohne Partner aufziehen oder sich für die Vollzeitmutterschaft entscheiden, ohne dazu gezwungen zu werden. Andererseits müssen sie beweisen, dass sie gute Mütter sind. Und gut heisst nichts anderes als intensiv. Sie sollen eine innige Verbundenheit zum Kind haben, selbstlos sein, in den Nachwuchs viel Qualitätszeit investieren und seine Bedürfnisse über die eigenen stellen. Zudem orientieren sie sich an Experten und Erziehungsratgebern, um das Kind bestmöglichst zu fördern und nichts dem Zufall zu überlassen.

Diese wirkmächtigen Normen des intensiven Mutterseins stehen den Arbeitsmarktprinzipien konträr entgegen und generieren viele Widersprüche: Die gleiche Gesellschaft, die nach Vollzeit berufstätigen Müttern ruft, weil sie Humankapitalverlust beklagt, verlangt von diesen Frauen, dass sie als Berufstätige die Familie gegenüber der Arbeit priorisieren, sich jedoch in männliche Marktstrukturen einordnen, wenn sie die Karriereleiter hochklettern wollen.

Viele Frauen stehen deshalb unter Dauerstrom. Sie schuften und schuften, um zu beweisen, dass sie gute Mütter sind und auch beruflich vorwärts kommen. Deshalb ignorieren sie ihre Bedürfnisse, so dass immer mehr von ihnen unter der Last des Alltags zusammenbrechen. Muttersein ist unter solchen Bedingungen fast zu einem Gesundheitsrisiko geworden. Somit ist es wenig erstaunlich, dass sich immer mehr Frauen entscheiden, für kürzer oder länger zu Hause zu bleiben. Oft tun sie dies nicht als Notlösung, sondern weil sie es wollen (und auch in der Lage sind). Vielleicht ist das ein politisches Statement, das wir ernster nehmen sollten.

Perfekte Mutterschaft hindert Frauen nicht nur am beruflichen Durchstarten, sondern hat auch negative Auswirkungen auf die Kinder. Selbstverständlich ist es keine Frage, dass die Beziehung zwischen Mutter und Kind enorm wichtig und auch entscheidend ist für ein gesundes Aufwachsen. Doch mütterliche Überinvestition führt zur Paradoxie, dass das Kind abhängig wird und zu kurz kommt. Es kann nicht selbstständig werden, Herausforderungen kaum alleine meistern und auch nicht lernen, mit Niederlagen umzugehen.

Ähnlich geht es Männern mit Partnerinnen, die perfekte Mütter sein wollen. Weder können sie in der Familie Autonomie erlangen noch zum Kind eine eigenständige und unabhängige Beziehung aufbauen. Deshalb bringt uns mehr öffentliche Unterstützung für Kinderbetreuung, für Tagesschulen, für Vaterschaftsurlaub oder für Teilzeit- und Home Office-Arbeit zwar weiter, aber ohne im Kern etwas zu verändern. Was wir folgedessen ebenso brauchen, sind neue Denkstrukturen, eine neue Zeitpolitik und eine neue Anerkennungsordnung von Müttern. Damit meine ich, dass Politik und Arbeitswelt Möglichkeiten schaffen, um Müttern – und auch Vätern – zu ermöglichen, sich in der intensivsten Familienphase etwas zurücknehmen zu können, um sich später beruflich wieder voll engagieren und weiterentwickeln zu können.

Frauen sollten lernen, sich für Kind und Familie weniger allein verantwortlich zu fühlen und anstatt die beste, nur eine hinreichend gute Mutter zu sein. Mit einer solchen Einstellungsänderung fordern sie auch ihre Partner heraus, ihren Anteil an der Gesamtverantwortung zu erhöhen. Und wenn das Kind dann bei einem Sturz vom Dreirad nicht nach ihr, sondern nach dem Vater ruft, sollten sie dies nicht als Kränkung ihres Egos verstehen, sondern als Zeichen, dass sie auf dem Weg zur hinreichend guten Mutter sind. Dies ist ein Segen für sie, das Kind, den Partner und die Gesellschaft.