Der moderne Vater als Supermann: Was die Diskussion um den Vaterschaftsurlaub ausblendet

Im letzten Herbst habe ich in der NZZ am Sonntag eine Gastkolumne zum «Social Freezing» (manchmal auch «Egg Freezing» genannt) geschrieben, d.h. zur Möglichkeit des Einfrierens von Eizellen, damit Frauen Karriere machen und die Mutterschaft auf später verschieben können*. Meine Meinung war und ist die, dass dies ein falscher Weg ist. Auf meinen Gastbeitrag habe ich viele Rückmeldungen erhalten – erstaunlicherweise kaum von Müttern, sondern vor allem von Vätern, welche die Familie mit der Karriere vereinbaren wollen oder sollen, sich aber enorm unter Druck fühlen.

Nun hat am letzten Mittwoch die Kommission für Soziale Sicherheit des Nationalrates einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub zugestimmt. Argumentiert wird, dass «Väter auch früh schon an der Kleinkind-Betreuung mitwirken» können sollen. Nichts gegen einen solchen Vaterschaftsurlaub! Er ist längst überfällig, aber er ist ein ungenügendes Angebot. Nicht nur deshalb, weil andere Länder - z.B. Deutschland - eine viel grosszügigere Regelung haben (Dort wird das Elterngeld an Väter und Mütter während maximal 14 Monaten gezahlt, die mit der Arbeit aussetzen). Zum einen, weil ein Vaterschaftsurlaub aus Männern nicht einfach so moderne Väter macht. Zum anderen, weil er den Eindruck erweckt, als sei nun viel für die Väter getan. Vernebelt wird damit nämlich, dass sich Väter heute schon überdurchschnittlich engagieren und ein den Müttern vergleichbares Vereinbarkeitsproblem haben. Der moderne Vater spielt zunehmend die Rolle des Supermannes, der ausserordentliche Kräfte aufbringt, um den Ansprüchen zwischen Kind, Karriere und Küche gerechter zu werden.

Allerdings ist die Rolle moderner Väter mit Widersprüchlichem verbunden, und Einiges will einfach nicht so richtig zusammen passen. Folgt man der Statistik des BfS**, dann arbeiten fast 90% in einem anstrengenden Job, mehr als 40 Stunden pro Woche. Gleichzeitig wollen sie mehr Zeit mit den Kindern verbringen. Nur 40% finden jedoch, dass es ihnen gelingt, eine gute Balance zu halten und genug Zeit für die Familie aufzubringen***. Trotz dieser Situation ist die Vollzeitstelle für den Vater und die Teilzeitstelle für die Mutter das bevorzugte und am häufigsten praktizierte Arbeitsmodell.

Viele Väter sind hin- und hergerissen zwischen der beruflichen Karriere und dem Ideal des perfekten Vaters. Noch immer verspüren sie die Verpflichtung, als Ernährer der Familie wirken zu müssen. Zwar finden sie das Rollenverständnis ihrer eigenen Väter als antiquiert und sie verhalten sich gegenüber ihren eigenen Kindern auch ziemlich anders – was den Beruf betrifft, jedoch kaum.

Warum ist dies so? Weshalb fühlen sich moderne Männer derart unter Druck, und wie kommt es, dass partnerschaftliche Vereinbarkeitsmodelle so rar sind? Hierzu gibt es natürlich viele Gründe, doch mit Sicherheit drei, welche ökonomische, betriebliche und innerfamiliäre Rollen betreffen.

«Die Logik des Geldbeutels»: In ökonomischer Hinsicht kommt es bei der Geburt des ersten Kindes häufig zu einer Traditionalisierung der Rollenmuster. Logischerweise entscheidet bei vielen Paaren der Lohn darüber, wie die Familien- und Berufsarbeit nun aufgeteilt werden soll. Oft haben Männer einen Einkommensvorteil, weshalb sie voll im Beruf engagiert bleiben – oder aufgrund der gestiegenen Investitionskosten sogar noch mehr arbeiten müssen. Mütter hingegen steigen teilweise aus oder arbeiten Teilzeit, nicht selten deshalb, weil sie nur ein unsicheres Beschäftigungsverhältnis haben. Der Entscheid ist deshalb oft eine rationale Kosten-Nutzen-Abwägung.

«Die Männlichkeit im Betrieb»: Zwar gibt es heute immer mehr Betriebe, welche auch Teilzeitarbeit von Männern einführen oder mit dem Label «familienfreundlich» werben. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die, dass viele Betriebe eine Verfügbarkeits- und Anwesenheitskultur pflegen und damit einem traditionellen Männlichkeitsmuster folgen. Richard Sennett**** schreibt darüber in seinem Buch «Der flexible Mensch». Leistungsbereitschaft wird nach wie vor mit Präsenz und Produktivität gleichgesetzt. Die New Economy hat auch das Privatleben erobert, denn in vielen, auch kreativen Berufen muss man auch nach Feierabend damit beschäftigt sein, Kontakte zu knüpfen. Man muss somit zu den «richtigen» Zeiten anwesend und jederzeit einsetzbar sein. Wer «nur» Teilzeit arbeitet, weicht vom traditionellen Bild des «richtigen Mannes» ab und hat damit auch kaum Anrecht, Aufstiegsambitionen zu hegen.

«Die Mütter als Türsteherinnen»: Innerfamiliär wird der Vereinbarkeitsdruck der Väter von den Müttern massgeblich beeinflusst. Viele von ihnen erachten Haushalt, Familie und Fürsorgearbeit als ihr Revier und verstehen sich deshalb als Profis. Nicht selten gilt der Vater folgedessen kaum als gleichwertiger Partner, sondern eher als Praktikant oder als Juniorpartner. Mütter setzen die Standards, wie etwas erledigt, der Brei gekocht oder die Wäsche gemacht werden soll. Für Väter ist dies häufig eine grosse Belastung, wenn sie nach einem arbeitsreichen Tag diese «zweite Schicht» beginnen und wissen, dass die Konflikte mit der Partnerin vorprogrammiert sind. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass sich viele Väter in der Haushaltsarbeit zurückhalten.

Wenn wir wirklich neue Väter wollen und ihre angespannte Situation ernstnehmen, dann ist der geplante Vaterschaftsurlaub zwar eine Referenz an die Väter, insgesamt aber nichts Weiteres als ein schönes Schäumchen auf einem guten Cappuccino. Unsere Gesellschaft müsste sich viel eher fragen, inwiefern die bestehenden inner- und ausserfamiliären Rahmenbedingungen zu verändern sind, damit überhaupt Zeit und Gelegenheit für eine angemessene Fürsorgearbeit von Vätern möglich wird, ohne dass sie Supermänner sein müssen.

Was wir brauchen ist vor allem eine Diskussion über ein grundsätzlich neues Familienmodell, das einem «Work freezing» entspricht: Väter und Mütter sollten die Chance bekommen, sich in der intensivsten Familienphase etwas zurücknehmen zu können, um sich nachher wieder richtig reinzuhängen. Spätere Karrieren für Männer und Frauen sind sowieso angesichts des langen Lebens besonders erwünscht.

 

* http://www.margritstamm.ch/images/nzzs_So_20141026_LMJO1%20PDF.pdf

** Bundesamt für Statistik (2015). Erhebung zu Familien und Generationen 2013. Neuenburg: Bundesamt für Statistik.

*** Pro Familia Schweiz (2011). Was Männer wollen. Studie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Bern: Pro Familia.

**** Sennett, R. (1998). Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus Berlin: Berlin-Verlag.

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