Der Vaterschaftsurlaub als Fundament für ein neues Verständnis von Fürsorge

Die Diskussion darüber, was einen «guten Vater» ausmacht, ist ideologisch aufgeheizt. Dies spiegelt sich nun überdeutlich in der Diskussion um den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub, über den wir am 27. September 2020 abstimmen. Schon im Jahr 2018 warf er hohe Wellen, als der Bundesrat die Volksinitiative für einen zwanzigtägigen Urlaub abgelehnt hatte mit dem Hinweis auf die Kosten, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft beeinträchtigen würden. Am gleichen Tag bewilligte er eine Milliarde CHF für die Olympischen Winterspiele 2026. 

Auch wenn die Anzahl der Geburten in den letzen Jahren gestiegen ist*, bleibt die Schweiz bis heute im internationalen Vergleich im Hinblick auf den Vaterschaftsurlaub ein Musterbeispiel eines politischen Entwicklungslandes. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die EU beim Vaterschaftsurlaub eine bedeutende Rolle spielt. Sie hat ihre Mitglieder verpflichtet, einen Elternurlaub von mindestens vier Monaten pro Elternteil einzuführen und mindestens einen Monat für die Väter zu reservieren. Dieser Grundsatz ist in den Mitgliedsstaaten weitestgehend umgesetzt**.

Schwarz-weiss Malerei statt etwas mehr Empirie

Unsere Demokratie lebt von der Meinungsvielfalt und der Freiheit, unpopuläre Meinungen zu äussern, genauso wie auch von der Kritik. Wo dies nicht stattfindet, gibt es keine Debatte. Doch die Diskussion um den Vaterschaftsurlaub ist von einer Schwarz-weiss-Malerei geleitet, und es wird zu oft über erwünschte und erwartete, statt über tatsächlich beobachtete Effekte berichtet. Etwas mehr empirische Nahrung ist deshalb erwünscht. Diese findet sich in verschiedenen Studien, die im Rahmen der Erkenntnisse um das Elterngeld in Deutschland respektive die Elternkarenz in Österreich entstanden sind***. Natürlich ist der Vaterschaftsurlaub lediglich der sehr kleine Bruder dieses Modells, aber wichtige Perspektiven lassen sich dennoch ableiten.

Grundsätzlich kommt er einem kulturellen Umbruch gleich, wenn man heutige junge Väter mit der Babyboomer-Generation vergleicht. Männer der Babyboomer-Generation hatten keine solchen Erfahrungen gemacht, und nur wenige von ihnen waren überhaupt bei der Geburt der Kinder im Gebärsaal mit dabei.

Der Vaterschaftsurlaub als Türöffner für die Familienarbeit

Es ist wichtig, dass ein Vater eine nahe Beziehung zum Neugeborenen aufbauen und sich während den ersten Lebenswochen Zeit für den Nachwuchs nehmen kann. Der Familie einen guten gemeinsamen Start zu ermöglichen, ist zu Recht ein familienpolitisch hoch bedeutsames Thema geworden. Forschungsergebnisse hierzu weisen nach, dass das Instrument der Elternzeit (oder wie es immer auch genannt wird) mithilft, die traditionellen Rollenverteilungen in der Familie aufzuweichen und auch Männer in ihrer Unabhängigkeit von der Partnerin zu bestärken. Solche früh einsetzenden Maßnahmen sind deshalb wichtige Türöffner, damit sich Männer stärker einbringen und dadurch eine gute Basis für die nachfolgende Familienarbeit erhalten. Dies ermöglicht eine andere Balance zwischen Berufs- und Familienarbeit für beide Partner.

Der Vaterschaftsurlaub als Katalysator für eine neue Rollenverteilung

Folgt man Ergebnissen deutscher und österreichischer Studien, dann kann bereits der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub eine Chance sein, zu einem Katalysator für die Vereinbarkeitsfrage zu werden. Manche Väter und Mütter beginnen, Traditionalismen und Routinen zu hinterfragen und Vereinbarkeit auch aus der männlichen Perspektive zu betrachten. Der Vaterschaftsurlaub wird zum Schnupperkurs, um sich mit Alternativen zur Vollzeitarbeit vertraut zu machen und sich mit einer gleichstellungsorientierteren Lebensweise auseinanderzusetzen.

Der Vaterschaftsurlaub als Fundament für ein neues Verständnis von Fürsorge

Grundsätzlich haben Männer dank dem Vaterschaftsurlaub günstigere Ausgangsbedingungen, engagierte Väter zu werden, wenn sie ähnliche Kompetenzen wie die Partnerin erwerben und entwickeln können. Der Vaterschaftsurlaub ist eine gute Ausgangslage für eine stärkere Beteiligung der Väter in den anschliessenden Familienjahren. Wie sich Männer tatsächlich entwickeln und wie sie ihre Rolle im Leben ihres Kindes entfalten, hängt dann aber auch von vielen anderen Faktoren ab – beispielsweise von der Entwicklung der Rollenzuschreibungen.

Nach wie vor belächelt unsere Gesellschaft Betreuung und Fürsorge, wenn oft auch nur hinter vorgehaltener Hand. Auch die politischen Rahmenbedingungen belohnen noch vorwiegend die alten Rollenzuschreibungen. Dies gilt nicht nur für die Familien-, sondern auch für die Steuerpolitik. Eine Folge solcher Rollenzuschreibungen ist das viel zu enge Verständnis von Fürsorge als weibliche Aufgabe****. Fürsorge ist für Männer wenig attraktiv, weil sie mit keinen Karriere- oder Aufstiegsmöglichkeiten verbunden ist und Kinder zu haben noch lange nicht so anerkannt ist wie beruflich erfolgreich zu sein.

Die beste Familienpolitik und die ausgeklügeltsten Gesetze bewirken noch keine Veränderungen, wenn dahinter nicht eine Neubewertung von Familien- und Berufsarbeit steht, die auch die Erziehung erfasst. Nur so lässt sich die Fürsorgearbeit der Zukunft von ihrem starken Fokus auf das weibliche Geschlecht befreien. Der Vaterschaftsurlaub ist ein erster zaghafter Schritt in diese Richtung!

Weiterführende Literatur

*Schweiz: von 82 731 (2012) auf 86 559 (2015) und 87'851 (2018). https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/geburten-todesfaelle.html

**Stamm, M. (2018). Neue Väter brauchen neue Mütter. Weshalb Familie nur gemeinsam gelingt. München: Piper.

***Bujard, M. (2013). Wie wirkt Elterngeld? in: Analysen und Argumente, 123, S. 1–8.

Pfahl, S., Reuyß, S., Hobler, D. & Weeber, S. (2014). Projektbericht: Gleichstellungspolitische Auswirkungen der Inanspruchnahme von Elterngeldmonaten durch erwerbstätige Väter auf betrieblicher und partnerschaftlicher Ebene: Berlin: SoWiTra Forschung und Beratung.

Samtleben, C. & Schäper, C. & Wrohlich, C. (2019). Elterngeld und Elterngeld Plus: Nutzung durch Väter gestiegen, Aufteilung zwischen Müttern und Vätern aber noch sehr ungleich. Wochenbericht Berlin: DIW.

Reidl, S. & Schiffbänker, H. (2013). Karenzväter in Zahlen. Ergebnisse einer Analyse von Daten des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Wien: Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH.

Stepstone Österreich Studie (2017). Geteilte Elternkarenz. Realität oder Wunschtraum?

https://www.stepstone.at/wp-content/uploads/2017/02/Whitepaper_Vaeterkarenz_2017.pdf

****Stamm, M. (2020). Du musst nicht perfekt sein Mama. Schluss mit dem Supermama-Mythos. München: Piper.

In die Hochleistungsgesellschaft gepusht: Das schw...
Hauptsache Ich?! Gedanken zum Corona-Narzissmus
 

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