Dr. Dropout: Über die Stolpersteine des Doktorierens

Eine der befriedigendsten Aufgaben und eine besondere Ehre für mich ist, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beim Anfertigen ihrer Dissertation zu betreuen. Als 'Doktormutter' stehe ich als Gesprächspartnerin für alle möglichen Fragen rund um die Arbeit zur Verfügung, und ich biete extra-Sprechstunden für Doktorierende und regelmässige Kolloquien an. In den letzten Jahren hatte ich insgesamt 24 Doktorandinnen und Doktoranden. Von ihnen haben sieben das Doktorat inzwischen abgeschlossen, weitere sieben werden es mit grösster Wahrscheinlichkeit in nächster Zeit tun. Fünf Personen genügten meinen Anforderungen für ein Doktoratsstudium nicht, und vier sind entweder untergetaucht oder haben ihr Projekt abgebrochen, ein Doktorand hat zu einem Doktorvater gewechselt. Wenn alles so wie angenommen verläuft, dürfte ,meine' Erfolgsquote somit ca. 53% betragen. Damit liegt sie etwas tiefer als in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wo sie ca. 60% beträgt.

Befriedigend finde ich meine Zwischenbilanz überhaupt nicht, und ich frage mich immer wieder, worin die Gründe liegen und was man wo und wie optimieren könnte. Unzufrieden bin ich gerade auch deshalb, weil ich mich immer darum bemüht habe, dass  alle meine Doktoranden die vorgeschriebenen 50% ihrer Anstellung, die der Abfassung der Dissertation gewidmet sein müssen, auch für auch dafür aufwenden konnten. Ich habe sie nie mit Zusatzaufgaben oder mit 'Frondiensten' belastet, die nichts mit der Dissertation zu tun haben.

Zur Problematik des Dropouts von Doktorandinnen und Doktoranden kann man in den Medien Vieles lesen. Sie seien unzufrieden mit ihrer Betreuung, Doktorväter (und wahrscheinlich auch Doktormütter) hätten zu wenig Zeit für sie und würden sich auf die Besprechungen schlecht vorbereiten oder sich auf dem Promotionsgebiet kaum auskennen. Zudem seien sie Überfiguren und Mentoren, Chefs und Gönner, weshalb man auf keinen Fall ihr Wohlwollen verspielen dürfe.

Aus meiner Perspektive sieht die Situation anders aus. Zwar höre auch ich immer wieder von schlechten Betreuungssettings oder dass Dissertationen einfach durchgewunken würden. Und auch die Abhängigkeit der Doktoranden von meiner Person erachte ich als problematisch. Trotzdem sind meine Erfahrungen andere: Obwohl ich ein System aufgebaut habe, das erlaubt, meine Doktoranden engmaschig zu betreuen, bin ich damit nicht sehr erfolgreich. Zu diesem System gehört eine klar geregelte Anzahl Kolloquien, die besucht werden müssen und die auch die kontinuierliche Präsentation des Status‘ Quo der Arbeit beinhalten. Zudem dränge ich regelmässig darauf, frühzeitig und systematisch Teile der Arbeit vorgelegt zu bekommen, um sie besprechen zu können. Meine penetranten Aufforderungen, Seiten zu schreiben und sie vorbeizubringen, enden jedoch häufig in Ausflüchten.

Warum kommt es zum Abbruch? Meines Erachtens gibt es Stolpersteine, die hauptsächlich in folgenden Punkten liegen:

  • Halbherzig Dabeisein: Viele meinen, nach dem Lizentiat oder dem Master-Studium könne man einfach noch eine etwas umfangreichere Arbeit anhängen, und das sei es dann gewesen. Deshalb sehen sie vor allem das Ziel, kaum jedoch den Weg, weshalb sie nur halbherzig dabei sind. Oft widersetzen sie sich auch dem Blick, dass sie sich drei Jahre lang mit einem einzigen Thema beschäftigen sollten – und häufig mit einem Thema, das zunehmend vor allem nur für sie (und mich) interessant ist. Oft knien sie sich nicht wirklich drein.
  • Verzetteln: Häufig fehlt der rote Faden, deshalb verzetteln sich viele mit Unwesentlichem: mit einem methodischen Detail, mit theoretischen Auseinandersetzungen oder mit immer neuen Details, welche nicht mehr zur ursprünglichen Fragestellung passen. Vielfach stecken dahinter auch Kongress- und Tagungsbesuche, die zwar besonders empfänglich für Trends und Modeströmungen machen, letztlich aber die bestehenden Unsicherheiten weiter schüren. Und Tagungen kosten viel Zeit – aber positiv gewendet lenken sie auch von der monotonen und oft einsamen Alltagsarbeit ab.
  • Zeitmanagement: Besonders augenfällig sind Schwierigkeiten dort, wo es nicht gelingt, sich an Abmachungen zu halten, beispielsweise, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Papier abzuliefern oder den Stand der eigenen Arbeit zu präsentieren. Oft liegen die Gründe jedoch im privaten Umfeld, das den innerlich stark beanspruchten Doktoranden wenig Wohlwollen entgegenbringt. Die Zerreissprobe wird dann gross – und für mich schwierig, verbindliche Konsequenzen zu formulieren oder Forderungen zu stellen.
  • Unterbrüche: Wer sein Dokoratsstudium unterbricht, hat zwar meist triftige Gründe: einen guten Job, um die finanzielle Situation etwas entlasten zu können, eine familiäre Situation oder auch ein Auslandaufenthalt mit dem Partner oder der Partnerin. Damit wird aber häufig nicht nur Zeit verschleudert, sondern auch eine ganze Menge Selbstvertrauen. Denn nach längeren Unterbrechungen steigt die Gefahr, dass die hohen Anforderungen als fremd und entfremdend erlebt werden. Dies wiederum fördert Selbstzweifel und erhöht den Erwartungsdruck an sich selbst.

Das Verheddern und Verzetteln wiegt am schwersten. Doktorandinnen und Doktoranden lassen sich oft, meist unbewusst, viel zu sehr ablenken. Als Studierende waren sie sich gewohnt, immer mehrere Projekte gleichzeitig zu haben. Sie arbeiteten im Service, in der Nachhilfe, im Asylantenheim oder waren Unterassistenten. Wenn sie ihre Doktorarbeit beginnen, dann ist es oft ebenfalls nur ein Projekt unter vielen. Das jedoch ist mit dem, was das Wesen einer Dissertation ausmacht, nicht vereinbar. Sie verlangt eine klare Prioritätensetzung.

Deshalb braucht es für die Individualpromotion klare Reglemente, welche Bedingungen formulieren, die eingehalten und Nachweise auflisten, die in einer vorgeschriebenen Zeiteinheit erbracht werden müssen. Halbherzige Doktorandinnen und Doktoranden machen sich selbst unglücklich. Und es braucht strukturierte und effiziente Promotionsprogramme, die vorschreiben, dass die Dissertation in eine Doktorandenausbildung mit selbständigen Arbeitsgruppen und begleitenden Veranstaltungen einzubetten ist.

 

Zwischen familienfreundlich und Kinderverbot: Schi...
Zu den Folgen des Akademisierungswahns
 

Kommentare

Derzeit gibt es keine Kommentare. Schreibe den ersten Kommentar!
Bereits registriert? Hier einloggen
Gäste
Donnerstag, 09. Mai 2024

Sicherheitscode (Captcha)

By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://margritstamm.ch/