Wird das Krippenleben schöngeredet?

In der Schweiz hat sich punkto Akzeptanz von Krippen für Kleinkinder in den letzten Jahren viel geändert. Allgemein gilt als unbestritten, dass mehr Krippenplätze erforderlich sind, weil beide Eltern arbeiten wollen oder auch müssen. Am 1. Mai 2012 hat Bundesrätin Sommaruga diese sozialen Tatsache zusätzlich unterstrichen, weil sie einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Frauenpolitik gemacht hat. Mit ihrer Feststellung, dass die Wirtschaft jährlich zehntausende Menschen in die Schweiz hole, gleichzeitig jedoch sehr viele gut ausgebildete Schweizerinnen nicht berufstätig seien, postulierte sie – indirekt natürlich – die Fremdbetreuung von Kindern, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern.

Zwar bin ich mit der Verknüpfung von Zuwanderung und Frauenfrage insgesamt nicht ganz einverstanden (siehe mein Blog vom 6. Mai 2012), doch bin ich sehr erfreut, dass insgesamt heute deutlich mehr Rationalität in der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit der Betreuungsfrage festzustellen ist. Blickt man jedoch etwas genauer hin, dann scheinen doch einige Mütter und Väter mit ihren Gefühlen in Konflikt zu geraten.

Zum Einen höre ich immer wieder von berufstätigen Familienfrauen und -männern, dass man heute gar nicht mehr ‚in' sei, wenn nicht beide Elternteile arbeiten würden. Das kann dann bisweilen so weit gehen, dass Eltern krampfhaft nach Betreuungsmöglichkeiten suchen, innerlich aber gar nicht hinter ihrer Strategie stehen können. Mütter – aber auch Väter – getrauen sich in solchen Situationen oft kaum mehr, auf ihre eigenen Gefühle zu hören. Würden sie dies tun, dann würden sie – möglicherweise – spüren, was ihr Kind wirklich braucht. Vielleicht eine andere Betreuungssituation, vielleicht weniger Tage in der Krippe, vielleicht am Morgen etwas länger mit den Eltern kuscheln?

Sicher ist, dass man als Mütter und Väter sehr intensive Gefühle gegenüber dem Kind in einer Trennungssituation hat, Gefühle, die einen leicht trügen, aber auch verunsichern. Ich erinnere mich sehr gut an die Zeit, als ich unsere Kinder zweimal pro Woche in die Krippe brachte und ich mich dann aus lauter Trennungsschmerz kaum auf meine Arbeit konzentrieren konnte. Selbstverständlich ist es gut, dass Eltern heute der Gefühlskonfusion häufig besser ausweichen können als dies bei uns vor 20 Jahren der Fall war. Aber trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, dass manche Eltern das Krippenleben auch schönreden, obwohl sie ungute Gefühle haben und dies über längere Zeit.

Das Fazit ist aber keinesfalls, Fremdbetreuung zu verteufeln oder einfach nur die Qualität der Krippen anzuprangern. Vielmehr müssten Eltern meines Erachtens genauer hinschauen – und auch die Kitas, die Tagesfamilien, die Nannies etc. selbst. Die Hauptfrage müsste sein: Was ist gut für das Kind und was ist auch gut für seine Eltern? Die falsche Strategie ist es, das Kind so umzudefinieren, dass es in die gewählte Betreuungssituation passt.

Und vielleicht – aber dies ist ein unpopulärer Gedanke – könnte sich eine junge Familie auch überlegen, ob es besser wäre für eine gewisse Zeit – vielleicht sind es nur ein paar Monate – zu überlegen, ob Kind und Karriere hinausgeschoben werden sollten...

 

 

Bourdieu, zum Beispiel
Kinderarbeit – made in Switzerland

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