erschienen im SonntagsBlick, 24.01.2021, S. 16-17.
«Lost» ist das Jugendwort des Jahres 2020. Die Pandemie trifft junge Menschen besonders hart, sowohl Lehrlinge als auch Studienanfänger. Ihr Alltag hat sich mit Fernunterricht, Isolation, Quarantäne und prekären Ausbildungsbedingungen drastisch verändert. Sie fühlen sich verloren und bangen um ihre Zukunftsaussichten. Manche haben den Eindruck, vor verschlossenen Türen zu stehen. Ironischerweise traf Alain Berset mit seiner Aussage vom 5. Januar «Die Jugend zahlt einen hohen Preis in dieser Krise» den Nagel auf den Kopf. Doch seine Aussage wirkt so, als ob diese Tatsache unabänderlich wäre. Einspruch!
Die Sorgen der Jugendlichen werden bagatellisiert. Ganz anders die Schulkinder, deren «Leiden an der Pandemie» eine oft gehörte Aussage ist. Allerdings wissen wir schon lange, dass Kinder lernfähiger, flexibler und widerstandsfähiger sind als Erwachsene. Doch der Generation Corona, wie junge Menschen inzwischen in der Forschung genannt werden, stellen sich ganz neue Herausforderungen. Bisher mussten sie auf dem Weg ins Erwachsenenleben traditionelle Entwicklungsaufgaben meistern und aktive Identitätsarbeit leisten. Dazu gehört, selbständig zu werden, das Leben zu erkunden und eine berufliche Identität aufzubauen. Weil Eltern und Geschwister hierfür wenig geeignet sind, ist das Corona bedingte enge Miteinandersein in der Familie oft zu viel des Guten. Wichtiger wären Kolleginnen und Kollegen, Ausbildnerinnen in den Betrieben und Schulen sowie Sporttrainer und Gleichgesinnte in Vereinen. Doch die harten Realitäten der Lockdownvarianten verunmöglichen solche Entwicklungsaufgaben über weite Strecken. Deren Bewältigung ist jedoch der Humus der Persönlichkeitsentwicklung und der beruflichen Entfaltung.
Ist die Pandemie ungerecht?
Viele jungen Menschen müssen unter prekären Bedingungen eine Lehrstelle ergattern. Manche können gar keine Schnupperlehre absolvieren, weil Betriebe mit sich selbst, den Schutzkonzepten und ihrem Überleben beschäftigt sind. Nicht wenige Schülerinnen und Schüler müssen deshalb wohl oder über eine Ehrenrunde im zehnten Schuljahr drehen, vor allem diejenigen, die keine besonders guten Schulnoten vorweisen können oder deren Eltern nicht über ein einflussreiches Netzwerk verfügen. Und auch für manche Lehrlinge ist der Ausbildungsalltag schwierig. Laut einer ETH-Studie von Ursula Renold sassen Ende 2020 mehr als 20 Prozent der Lehrlinge nach dem Frühlings-Lockdown immer noch im Homeoffice, während andere im Betrieb arbeiten konnten. Aber auch diesen standen aufgrund von Quarantäne-Regelungen oder Isolationsbestimmungen oft weder Ausbildende noch anderes Fachpersonal zur Verfügung. Mit ebenso herausfordernden Situationen kämpfen müssen junge Erwachsene mit abgeschlossener Berufslehre. Sie haben einen härteren Arbeitsmarkt vor sich, weil die Konkurrenz nicht nur die anderen Berufseinsteiger sind, sondern auch berufserfahrene Menschen, die ihren Job verloren haben.
Oft hört man, die Pandemie sei ungerecht, weil sie Lehrlinge härter treffe als Maturandinnen und Maturanden, welche ein Hochschulstudium beginnen. Das stimmt so nicht. Nach der Matura wissen viele junge Menschen nicht so recht, wohin mit sich selbst und den Selbstzweifeln. Im Vergleich zu Lehrlingen, die sich Wissen und Können in Berufsfachschule und Betrieb aneignen, haben Studierende zwar Privilegien, weil sie unabhängiger sind. Doch dies nimmt ihren Sorgen nicht die Legitimität. Es gibt viele, wenn nicht gar der Grossteil, welche mit ähnlichen Problemen kämpfen. Die Mehrheit der Erstsemestrigen hat an der Hochschule ein Leben der neuen Einsamkeit aufgebaut, obwohl Studieren eine Lebensphase des Kollektiven ist. In normalen Zeiten würden sie die Dozierenden in Lerngruppen kennenlernen und ihre Beziehungen in informellen Begegnungen am Rande der Lehrveranstaltungen aufbauen. Doch die meisten von ihnen belegen keinen einzigen Kurs im Präsenzunterricht, und manche haben die Universität bisher nicht von innen gesehen. Entweder sitzen sie noch in ihren alten Kinderzimmern oder dann in einer anderen Stadt allein vor dem Computer. Und dies dürfte noch lange so bleiben.
Das grösste Problem ist die Isolation. Mit dem digitalen Unterricht kommen zwar die meisten klar, weniger aber mit der Herausforderung, aus eigener Initiative und alleine strukturiert zu lernen. Andere Erstsemestrige sehen sie nur in Videokonferenzen, sie kennen die Namen vor dem schwarzen Zoom-Hintergrund oder die Stimmen, die Gesichter aber nicht. Doch wer ist schon in der Lage, allein aufgrund einer Zoom-Sitzung eine Beziehung zu nicht sichtbaren Teilnehmerinnen und Teilnehmern aufzubauen? Und wer hat ein so grosses Selbstbewusstsein, sich zu Wort zu melden, wenn man keine Gesichter sieht?
Die Generation Corona und die Würde der älteren Menschen
Das sind keine Trivialitäten, sondern empirische Fakten. Die Pandemie bedingten Einschränkungen lassen die Ausbildung vieler junger Menschen zu einem Faktor werden, der nicht nur auf die Bildung, sondern vor allem auf die Psyche drückt. Selbstverständlich gibt es auch solche, die trotz allem eine beneidenswerte Erfolgssicherheit entwickeln und für die Corona kein verlorenes Jahr ist. Das sind aber wenige.
Unsere Gesellschaft muss die Generation Corona ebenso in den Blick nehmen wie die Würde der Älteren, die bedrohten Jobs und die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft. Zwar hat der Bund letztes Jahr eine Taskforce für Lehrlinge in der Berufsbildung eingesetzt, doch solche Interventionen sind nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die wegen Gezänk und Orientierungslosigkeit bisher verpasste Botschaft von Landesregierung und Taskforce: den Menschen die Angst vor der Angst zu nehmen und ihnen eine Botschaft zu übermitteln, dass wir diese Krise meistern können. Und mit Blick auf junge Menschen nicht nur davon zu sprechen, dass sie einen hohen Preis zahlen müssen. Vielmehr sind sie im Glauben daran zu unterstützen, dass sie widerstandsfähige Geschöpfe sind, die aus einer Krise gestärkt hervorgehen können. Dass sie mit Bewältigungskompetenzen ausgestattet sind und trotz der schwierigen Situation Kompetenzen entwickeln können, die ihren Lebensweg bereichern werden.
Corona als Chance
Die Pandemie ist nicht lediglich eine Katastrophe, sondern auch eine Chance. Die Generation Corona ist unsere Zukunft! Junge Menschen brauchen Bilder des Gelingens. Not tut eine Denkpause mit mentaler Umorientierung, weg vom überdrüssig gewordenen Belastungsszenario hin zum Paradigma der Bewältigung. Wenn unsere Politik nur das Leiden und die düsteren Zukunftsaussichten in den Mittelpunkt stellt, können junge Menschen die Übergänge in Beruf und Ausbildung kaum positiv bewältigen und eine Lebenszuversicht entwickeln. Wo sind unsere Gremien, welche trotz der Pandemie die biographischen Illusionen und Pläne der jungen Generation stärken und ihnen die Botschaft übermitteln, dass ihre Widerstandsfähigkeit und Erfolgszuversicht ein wichtiges Merkmal unserer zukünftigen Gesellschaft sein wird?