Knaben gelten als die neuen Sorgenkinder. Im Vergleich zu den Mädchen halten sie die Schule für weniger wichtig und sind im Durchschnitt auch weniger erfolgreich. Liegt dies womöglich am hohen Frauenanteil und der vermeintlichen Tatsache, dass Lehrerinnen den Unterricht mehr an die Mädchen anpassen? Diese These, meist unter dem Stichwort «Feminisierung der Schule» diskutiert, ist verbreitet, trotzdem ist sie zu gewagt.
Der hohe Frauenanteil ist nicht die Ursache für den mässigen Schulerfolg der Knaben
Selbstverständlich ist das Ziel wichtig, mehr Männer für den Lehrerberuf zu gewinnen. Tatsächlich ist der Frauenanteil hoch, zwischen 86 Prozent in der Primarschule und 57 Prozent in der Sekundarstufe I. Empirische Studien weisen jedoch nach, dass Knaben bei Lehrern weder bessere Leistungen zeigen oder bessere Schulnoten bekommen und auch keine höhere Chance aufs Gymnasium haben als bei Lehrerinnen. Deshalb kann der hohe Frauenanteil kaum als alleinige Ursache für den mässigen Schulerfolg der Knaben herangezogen werden.
Ein wesentlicher Grund liegt in den geschlechtsspezifischen Unterschieden. Im Durchschnitt haben Mädchen bei gleichen intellektuellen Fähigkeiten bessere Schulnoten und zwar ab der ersten Klasse – ausgenommen in Mathematik – und auch der Übertritt ins Gymnasium gelingt ihnen häufiger. Knaben hingegen führen die Negativ-Ranglisten in den Rückstellungen beim Schuleintritt an, bei den Ritalin-Schluckern, den Unterrichtsstörern und Schulschwänzern. Zwar müssen solche Risikoszenarien relativiert werden, denn innerhalb der Knaben- und Mädchengruppe gibt es grössere Unterschiede als zwischen ihnen. Man kann somit nicht generalisierend von den Knaben sprechen. Doch die Gruppe der jungen Männer wächst, die ab 16 Jahren ohne Ausbildung und Job dastehen.
Die Achillesferse: das Lernverhalten der Knaben
Dass die Schulkarrieren von vielen Knaben derzeit weniger erfolgreich verlaufen, hängt vor allem mit ihrem Lernverhalten zusammen. Mädchen zeigen öfters jene Verhaltensweisen wie Gewissenhaftigkeit und Selbstdisziplin, die für schulisches Lernen förderlich sind. Knaben tun für die Schule im Durchschnitt weniger, strengen sich weniger an und setzen auch weniger Zeit für die Hausaufgaben ein. Deshalb orientieren sie sich eher am Prinzip des minimalen Aufwands, um mehr Zeit für die aus ihrer Sicht spannenderen Freizeitaktivitäten zu haben. Mädchen hingegen stecken viel Zeit und Energie ins Lernen, was jedoch auch eine erhöhte Stressanfälligkeit zur Folge haben kann. Solche Unterschiede führen dazu, dass Lehrkräfte – Männer wie Frauen – die Mitarbeit der Knaben und ihre Leistungen schlechter beurteilen. Verhalten sie sich im Unterricht ähnlich wie die Mädchen, so bekommen sie bei einem vergleichbaren Leistungsvermögen und einer guten Mitarbeit auch identische Noten, und zwar von Lehrerinnen und Lehrern.
Weshalb zeigen Knaben trotzdem nicht mehr Engagement und Anstrengung? Weil in bestimmten Knabengruppen Schulerfolg als unmännlich gilt, als besonders cool hingegen, wer im Unterricht auffällt. Die Auswirkungen des Störverhaltens auf die Beliebtheit ist ein wichtiger Faktor für die Erklärung des Schulerfolges, weil damit unterschiedliche Konsequenzen für Knaben und Mädchen verbunden sind. So nimmt das Ansehen von Knaben eher Schaden, wenn sie gut mitarbeiten, beliebter werden sie hingegen, wenn sie den coolen Klassenkaspar geben. Bei Mädchen funktioniert es anders: Wenn sie im Unterricht mitarbeiten, machen sie sich keinesfalls unbeliebt, wohl aber, wenn sie den Unterricht stören.
Knaben brauchen männliche Modelle
Es sind somit keinesfalls nur die Lehrerinnen und die fehlenden Lehrer, welche am weniger erfolgreichen männlichen Geschlecht Schuld tragen. Lediglich die Feminisierung der Schule anzuprangern greift zu kurz. Es liegt genauso an der verbreiteten Überzeugung von Knaben, dass ein wenig angepasstes Verhalten in der Schule das maskuline Image fördert und das Ansehen in der Peergroup steigert. Deshalb brauchen wir deutlich mehr Bemühungen als bis anhin, den Knaben zu vermitteln, dass schulkonformes Verhalten keine weibliche Tugend ist, von der sie sich abzugrenzen haben. Am besten gelingt dies über männliche Modelle, die diesen Perspektivenwechsel vollzogen haben. Das müssen keineswegs immer Lehrer sein, sondern vor allem in der Familie präsente Väter, aber auch Grossväter, Trainer oder schulerfolgreiche Idole.