Von Margrit Stamm auf Montag, 20. Januar 2025
Kategorie: Blog

Unsere Schule ist nicht für Knaben gemacht

erschienen in Aargauer Zeitung / Die Nordwestschweiz, 20.01.2024, 2.

«Gender-Disappointment» ist ein neues Phänomen. Gemeint ist damit die Enttäuschung schwangerer Frauen, wenn die Gynäkologin beim Ultraschall sagt: Es ist ein Knabe. Heutzutage dominiert oft der Wunsch nach einem Mädchen. Es gibt offenbar eine Quelle grosser Angst um Knaben.

Knaben haben an Boden verloren

Das männliche Geschlecht ist in Schieflage geraten. Viele Veränderungen haben dazu geführt, dass Knaben in Schule und Ausbildung an Boden verloren haben und als Problemgeschlecht gelten. Im Vergleich zu Mädchen bekommen sie deutlich häufiger die Diagnose ADHS, gelten als verhaltensauffälliger und haben im Durchschnitt schlechtere Schulnoten. Zudem schaffen sie den Sprung ins Gymnasium seltener und brechen es häufiger ab.

Darüber wird kaum gesprochen. Manche Feministin sagt, Knaben und junge Männer müssten lernen, vom weiblichen Geschlecht überholt zu werden. Und überhaupt sei die Berufswelt in den obersten Etagen immer noch mehrheitlich männlich.

Der Tunnelblick auf  die Knaben greift zu kurz

Die Diskussion ist einseitig. Sie ist nicht neutral, sondern ignorant oder gehässig. Zudem ist die Generalisierung des männlichen Geschlechts als «Problemgeschlecht» undifferenziert. Nicht alle Knaben sind Verlierer in der Schule, genauso wie nicht alle Mädchen auf der Überholspur sind. Dieser Tunnelblick greift zu kurz. Neben den unauffälligen Durchschnittsschülern gibt es auch sehr gute Schüler.

Doch eine Gruppe wird zu selten beachtet: Männliche Jugendliche am unteren Ende der Skala. Fast ein Viertel kann am Ende der Volksschule nicht genügend gut lesen, um basale Texte zu verstehen, geschweige zu schreiben. Auch beim Lösen einfacher Mathematikaufgaben haben viele Mühe. Dass das männliche Geschlecht in dieser Gruppe überdurchschnittlich vertreten ist, kann nicht lediglich als individuelles Problem verstanden werden, es betrifft auch die Struktur der Ausbildung.

Der Lehrplan 21 und eine andere Pädagogik für Knaben

Unser Bildungssystem ist eher zu Gunsten der Mädchen strukturiert. Der Lehrplan 21 betont das Sozialverhalten, die Fähigkeit zum selbstorganisierten Lernen, frühe Fremdsprachen (z.B. Französisch) sind ein Muss. Dies erfordert Kompetenzen, die eher den Mädchen zugeschrieben werden. Leistungsschwache oder wenig schulaffine – meist männliche – Jugendliche tun sich schwerer damit. Manche erachten Schulerfolg als unmännlich, als cool hingegen, wer auffällt. Sie passen weniger auf, stören den Unterricht, machen widerwillig Hausaufgaben und sind überzeugt, dass die Beflissenheit beim Lernen eine Angelegenheit der Mädchen ist.

Für solche Knaben wäre eine andere Pädagogik nötig. Einerseits profitieren sie eher von einem Unterricht, der Autonomieerleben und Bewegung betont, also auch das Haptische, das experimentelle und bewegungsorientierte Lernen. Andererseits brauchen sie eine engere Führung und Kontrolle – genauso aber auch mehr Ermutigung, dass sie im zukünftigen Leben mit Anstrengung etwas erreichen könnten. Doch solche Forderungen tönen für moderne pädagogische Ohren wenig attraktiv. Trotzdem: Selbstorganisiertes Lernen ist kein Allerheilmittel und schon gar keine Garantie für erfolgreiches Lernen. Leistungsschwächere Schüler sind nicht in der Lage, ihr Lernen ohne Anleitung eigenverantwortlich zu regeln. In unserer Schulabbrecher-Studie hat die Mehrheit der männlichen Aussteiger im Rückblick betont, ein strukturierter und führender Unterricht hätte sie vielleicht in der Schule gehalten.

Trump und die «Bros»: eine gefährliche Verbindung

Und noch etwas: Männliche Jugendliche, die cool sein wollen, treten auffällig oft auf die Leistungsbremse und eifern einem traditionellen Männlichkeitsbild nach. Seit Donald Trumps Wahl zum neuen amerikanischen Präsidenten bekommt diese Gruppe Aufwind. Er gewann, weil er auf die Gruppe junger Männer setzte, die nicht wählen geht: auf «Bros». Das ist eine Abkürzung für brothers. Oft sind das nicht besonders erfolgreiche Männer, die auf körperliche Stärke sowie auf ausschliesslich maskulin basierte Interessen setzen und ein abwertendes Frauenbild haben.

Dies sollte Grund genug für unser Bildungssystem sein, mehr für Knaben und junge Männer zu tun. Und zwar explizit auch für diejenigen, die sich nicht über gute Schulleistungen behaupten können und ihr Renommee im von Trump erneuerten Männlichkeitskult suchen. Das Ziel müsste ein neu gefasstes Verständnis von Männlichkeit sein. In der Pflicht stehen neben der Schule auch Sozialarbeit, Sportvereine und die kirchliche Jugendarbeit. 

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