An die Uni verirrt? Über Studierende, die kaum Interesse an der Wissenschaft haben

«Ich habe gar nicht gewusst, dass ein Studium so viel mit Wissenschaft zu tun hat.» Dies hat mir kürzlich eine Studentin nach einem Seminar gestanden. Und unter vorgehaltener Hand hat sie nachgeschoben, dass sie ein Studium eigentlich auch gar nicht interessiere und sie nur den Eltern zuliebe damit begonnen habe.

Natürlich wäre es ein Leichtes, solche Aussagen einfach als indirektes Produkt überehrgeiziger Eltern und zu uninteressierter, aber angepasster Jugendlicher abzutun. Richtig ist zwar, dass viele Jugendliche heute fast etwas wie ein Spielball ihrer Väter und Mütter geworden sind und in erster Linie das tun, was sie wünschen. Dieser enorme Elterneinfluss kommt auch in den neuerdings an vielen Universitäten eingerichteten Angeboten zum Ausdruck, die sich vor allem an die Eltern neuer Studierender richten. An der Uni Basel heisst dieses Angebot «Uni für Eltern».

Aber eigentlich geht es bei der Aussage der Studentin um etwas viel Umfassenderes: um die Persönlichkeitsentwicklung. Mit dem Bologna-System ist sie leider ad-acta gelegt, zumindest jedoch sehr erschwert worden. Zwar gab es auch früher schon überbehütete Maturandinnen und Maturanden. Aber im Lizentiats-Studiensystem hatten sie noch die Möglichkeit, sich ganz auf das Studium einzulassen, sich vom Elternhaus zu distanzieren und das zu studieren, was sie interessierte. Es ging nicht um den schnellen Abschluss, um x-Prüfungen pro Semester und Leistungsnachweise, die bestanden werden mussten, um dann abgehakt werden zu können. Das Studium war vielmehr ein Lebensabschnitt, der mit Abnabelung, selbstständig werden und Kompetenzerwerb verbunden wurde. Viele der heutigen Studentinnen und Studenten hätten eigentlich ebenfalls solche Interessen und Ziele. Aber das durchgetaktete Bologna-System erlaubt deren Umsetzung fast nicht mehr. 1 ECTS wird nun mal ohne Wenn und Aber mit 30 Arbeitsstunden gleichgesetzt, und nach jeder Vorlesung und jedem Seminar kommen ein Leistungsnachweis oder eine Prüfung dazu, die zudem an rigide Präsenzpflichten geknüpft sind. Zudem muss man die Bachelorarbeit meistens in einer bestimmten Zeit – in einem oder zwei Semestern – durchbringen. Jede Prüfung kann in der Regel zweimal wiederholt werden, und die Rekursmöglichkeiten sind grosszügig geworden. Weshalb sollen sich Studentinnen und Studenten somit um persönliche Ziele, Werte, Interessen etc. bemühen, wenn alles derart vorprogrammiert, instrumentalisiert, ritualisiert und gespurt ist? Erwachsenwerden muss anderswo stattfinden, an der Uni ist kaum Platz dafür.

Bologna ist Realität, und daran kann man nichts mehr ändern. Deshalb soll man das Glas auch als halbvoll ansehen. Es gibt auch viel Gutes an Bologna, beispielsweise die Möglichkeit, den Master unabhängig vom Bachelor-Studium zu machen. Master-Studierende sind freiwillig an der Uni und nicht mehr wie noch zu Lizentiatszeiten aus äusserem Zwang. Das macht das Unterrichten besonders schön und interessant.

Trotzdem bin ich überzeugt: Viele führt das instrumentalisierte Bologna-Studium in eine falsche Richtung mit falschen Erwartungen. Die Anzahl der Studierenden, die weder im Kopf noch im Herz Akademikerin oder Akademiker werden wollen, steigt. Diese jungen Menschen wären an einer Fachhochschule oder einer Höheren Fachschule besser aufgehoben. Ich kenne (zu) viele, die vor allem studieren, weil es zum guten Ton gehört und ihre Eltern dies wünschen. Es erstaunt somit kaum, wenn der Anteil der kaum an Wissenschaft interessierten Studierenden steigt, aber auch der Anteil, der lieber praktisch arbeiten möchte. Denn wenn das vordringliche Ziel, das ein nicht kleiner Teil der Studierenden heute anpeilt, lediglich das Bachelor- oder das Master-Diplom ist, dann geht es wahrscheinlich bei vielen – vor allem bei den Studierenden aus ehrgeizigem Elternhaus – darum, die Pflichten erledigt zu haben. Sie haben damit den Vätern und Müttern Genüge getan, die unbedingt ein «studiertes» Kind haben wollen, um im sozialen Vergleich mit Nachbaren und Freunden bestehen zu können.

Wir müssten somit weniger auf den Studierenden selbst herumhaken, die unumwunden zugeben, dass sie im Studium vor allem Punkte abholen, sondern eher ihren Eltern ins Gewissen reden.

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Kommentare 3

Gäste - M.F. am Montag, 13. Juli 2015 05:18

Liebe Frau Stamm,
sie sprechen etwas wichtiges an.
Auch ich bin in der Lehre tätig und merke immer wieder, wie wenig Interesse an der Wissenschaft besteht. Wobei ich zugeben muss, dass auch ich damals in meinem eigenen Studium zunächst kaum "Interesse" an Wissenschaft an sich hatte, es aber als Handwerkzeug verstanden habe, dass es zu beherrschen gilt (und durch das Handwerk erlernen Spass an Wissenschaft an sich gefunden habe). Widersprechen oder zumindest ein Fragezeichen setzen möchte ich an folgende Passage von Ihnen "Die Anzahl der Studierenden, die weder im Kopf noch im Herz Akademikerin oder Akademiker werden wollen, steigt. Diese jungen Menschen wären an einer Fachhochschule oder einer Höheren Fachschule besser aufgehoben." - Für HFs kann ich das weniger beurteilen, aber FHs sind genauso wie Unis wissenschaftsbasiert (und werden sie immer mehr). An FHs wird mittlerweise nicht nur wissenschaftsbasierte Lehre sondern auch Grundlagenforschung (im Sinne des SNF) durchgeführt. ich Lehre an einer solchen und hier "stöhnen" und beschweren sich die Studierenden ebenfalls - da unterscheiden sie sich, wie ich finde (zumal ich beide Institutionen - Uni und FH - kenne), in keiner Weise. Lieben Gruss

Liebe Frau Stamm, sie sprechen etwas wichtiges an. Auch ich bin in der Lehre tätig und merke immer wieder, wie wenig Interesse an der Wissenschaft besteht. Wobei ich zugeben muss, dass auch ich damals in meinem eigenen Studium zunächst kaum "Interesse" an Wissenschaft an sich hatte, es aber als Handwerkzeug verstanden habe, dass es zu beherrschen gilt (und durch das Handwerk erlernen Spass an Wissenschaft an sich gefunden habe). Widersprechen oder zumindest ein Fragezeichen setzen möchte ich an folgende Passage von Ihnen "Die Anzahl der Studierenden, die weder im Kopf noch im Herz Akademikerin oder Akademiker werden wollen, steigt. Diese jungen Menschen wären an einer Fachhochschule oder einer Höheren Fachschule besser aufgehoben." - Für HFs kann ich das weniger beurteilen, aber FHs sind genauso wie Unis wissenschaftsbasiert (und werden sie immer mehr). An FHs wird mittlerweise nicht nur wissenschaftsbasierte Lehre sondern auch Grundlagenforschung (im Sinne des SNF) durchgeführt. ich Lehre an einer solchen und hier "stöhnen" und beschweren sich die Studierenden ebenfalls - da unterscheiden sie sich, wie ich finde (zumal ich beide Institutionen - Uni und FH - kenne), in keiner Weise. Lieben Gruss
Margrit Stamm (website) am Dienstag, 28. Juli 2015 13:05

Sehr geehrte(r) M.F.
Besten Dank für Ihre differenzierte Rückmeldung. Sie haben mit Ihrer kritischen Bemerkung vollkommen Recht. FH sind wahrscheinlich tatsächlich ebenso verwissenschaftlicht, das habe ich in meiner Argumentation zu wenig berücksichtigt. Mit freundlichem Gruss, Margrit Stamm

Sehr geehrte(r) M.F. Besten Dank für Ihre differenzierte Rückmeldung. Sie haben mit Ihrer kritischen Bemerkung vollkommen Recht. FH sind wahrscheinlich tatsächlich ebenso verwissenschaftlicht, das habe ich in meiner Argumentation zu wenig berücksichtigt. Mit freundlichem Gruss, Margrit Stamm
Gäste - Adriano B. Lucatelli am Mittwoch, 15. Juli 2015 09:17

Interessante Gedanken. Ich finde jedoch, dass das alte Liz-System etwas gar idealisiert wird. Wo ist die Eigenverantwortung? Die Persönlichkeitsentwicklung kann und darf nicht am System liegen.

Interessante Gedanken. Ich finde jedoch, dass das alte Liz-System etwas gar idealisiert wird. Wo ist die Eigenverantwortung? Die Persönlichkeitsentwicklung kann und darf nicht am System liegen.
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