Lieber Privat oder doch Staat? Privatschulen spalten unsere Gesellschaft

Anfangs letzter Woche wurde bekannt, dass die älteste Engadiner Privatschule, das Hochalpine Institut Ftan, noch diesen Sommer schliessen muss. Als Grund angegeben wurden der drastische Schülerschwund und finanzielle Probleme. Offenbar müssen aber auch andere traditionsreiche Internate ihre Schüler intensiver suchen und sich Einiges einfallen lassen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ein Hauptgrund für die vermehrte Konkurrenz dürften die vielen Privatschulen sein, die wie Pilze aus dem Boden schiessen, insbesondere in grossen Städten wie Zürich, Genf, Bern oder Basel. Rund um den Zürichsee ist das Angebot besonders dicht. So startet die Swiss International School im Schwyzerischen Pfäffikon dieser Tage mit dem Ziel, im Vollausbau 300 Plätze anzubieten. Was steckt eigentlich hinter diesem Privatschul-Trend? Wieso sind die Wartelisten trotz meist (sehr) hoher Gebühren lang, und was bedeutet er für unsere Gesellschaft insgesamt?

Schweizweit besuchen durchschnittlich ca. 5% der Kinder und Jugendliche eine Privatschule, Tendenz steigend. Das ist an sich noch kein hoher Marktanteil, doch wenn man die Privatschülerquote in einzelnen Gemeinden betrachtet, dann gibt dies zu denken. Im Kanton Zürich haben beispielsweise Gemeinden wie Zumikon, Rüschlikon oder Kilchberg Privatschülerquoten von gegen 25%, im Kanton Schwyz ist es Wollerau mit 21% und Walchwil im Kanton Zug mit 23%. Vor dem Hintergrund, dass Privatschulen immer mehr glorifiziert werden, ist das eine bemerkenswerte Realität.

Um es vorweg zu nehmen: Ich bin nicht gegen Privatschulen, und ich verstehe Eltern, welche aufgrund schlechter Erfahrungen oder übermässigem Leiden ihres Nachwuchses fürchten, ihr Kind könnte an der öffentlichen Schule scheitern und es deshalb in eine Privatschule stecken. Sie wollen das Beste für ihr Kind, und suchen deshalb eine Schule ihrer Vorstellung. Sorgen bereitet mir jedoch, dass Eltern bereits bei kleinsten negativen Erfahrungen der Schule mit diesem Schritt drohen und ihn dann auch vollziehen. Es sind bei weitem nicht nur Klagen, die Klassen seien zu gross, das Kind würde gemobbt oder die Schülerschaft sei zu heterogen. Viele Eltern sind überzeugt, die Volksschule werde ihrem Kind nicht gerecht, es würde in seinen Begabungen zu wenig gefördert, weshalb sie das Ziel Gymnasium und Studium als gefährdet sehen. Der Wechsel in eine Privatschule hat oft mit einer Art Bildungspanik zu tun, das Kind könnte die in es gesetzten Ziele nicht erfüllen.

Gerade deswegen sind Privatschulen eine enorme Konkurrenz für die öffentlichen Schulen geworden. Denn sie richten sich an der Familie und dem Elternwillen aus, sind oft flexibler und auf die individuelle Förderung ausgerichtet. Deshalb gibt es in ihnen auch weniger Sitzenbleiber. Und auch was ihre Leistungen betrifft, kann ihnen ein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Gerade die PISA-Studien haben gezeigt, dass sich Privatschulen in dieser Hinsicht kaum von den öffentlichen Schulen unterscheiden. Allerdings liegt der Grund nicht in ihrer besseren Qualität, sondern in der allgemein homogen hohen sozialen Herkunft der Kinder. Denn berücksichtigt man diese, dann schneiden öffentliche Schulen eher besser ab.

Dieses Ergebnis spricht somit eigentlich für die öffentlichen Schulen und ihre hohe Integrationsfähigkeit. Denn sie haben bekanntlich einen gesellschaftlichen Auftrag, alle Kinder, sowohl die Besten als auch die Schwächsten, auszubilden, zu fördern und zu integrieren. Aber leider haben die öffentlichen Schulen es in den letzten Jahren oft versäumt, mit den Privatschulen gleichzuziehen. Beispielsweise: das eigene Profil zu schärfen und sichtbar zu machen, klare pädagogische und erzieherische Grundsätze im Sinne eines Wertekanons aufzuzeigen und die kindliche Verantwortung zu stärken, die Bindung zwischen Lehrern und Schülern stärker zu gewichten, Ganztageskonzepte einzurichten, bilinguales Lernen zu ermöglichen, neue Lehr- und Lernformen sowie vielfältige Angebote systematisch einzuführen etc.

Die Volksschule versteht sich heute – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zu stark als Opfer der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie klagt zu viel, anstatt das Zepter in die Hand zu nehmen und aufzuzeigen, wozu sie fähig ist. Die Volksschule muss ein Spiegel der Gesellschaft sein, nicht die Privatschulen. Sie dürfen lediglich eine sinnvolle Ergänzung der öffentlichen Schulen sein.

Dass Eltern ihre Kinder, die an der öffentlichen Schule negative Erfahrungen machen, aus der Schule nehmen und sie in eine private Schule schicken, ist zwar verständlich, aber trotzdem kein gutes Zeichen: Man sollte diese Entwicklung ernst nehmen, denn zu lange hat man die Privatschulen als qualitativ weniger gute Institutionen für vermögende und verwöhnte Kinder abgetan. Es darf nicht so sein, dass diejenigen, die es sich leisten können, eine gute Privatschulbildung bekommen und die anderen in der öffentlichen Schulen bleiben müssen. Eine gute Ausbildung muss für alle unabhängig von der finanziellen Situation möglich sein.

Nicht nur die öffentlichen Schulen sind gefordert, sondern auch die Bildungspolitik. Und zwar deshalb, weil mit dem Privatschul-Boom ein weiteres, bisher kaum diskutiertes Problem verbunden ist: die Schwächung der Berufsbildung. Denn es versteht sich von selbst, dass Eltern, die ihr Kind für teures Geld in eine Privatschule schicken, den akademischen Weg im Blick haben und nicht die Berufslehre. Weil die Berufsbildung auch in dieser Hinsicht die Verliererin ist, braucht es dringend grundlegende Änderungen. Kantone, die mit ihrer Steuerpolitik übermässig finanzstarke und bildungsambitionierte Eltern anziehen, müssten gezielt und mit identischen finanziellen Aufwendungen die Berufsbildung stärken.

25 ist das neue 18. Weshalb hört die Pubertät heut...
An die Uni verirrt? Über Studierende, die kaum Int...

Ähnliche Beiträge

 

Kommentare 3

Gäste - tefl59 (website) am Freitag, 25. September 2015 07:46

Also ich finde eine Entscheidung sollte auf der Qualität der Schule beruhen. Es kann sowohl eine öffentliche Schule als auch eine Privatschule in Zürich sehr gut sein. Sicher ist, dass an einer privaten Primarschule in Zürich motiviertes Lernen sicher stärker ist, da die Schüler von den Eltern aktiv motiviert und unterstützt werden. Eine öffentliche Sekundarschule Zürich kann sicherlich auch mit Unterstützung überzeugen. Jedoch sollte die Entscheidung schlussendlich auf die Qualität beruhen.

Also ich finde eine Entscheidung sollte auf der Qualität der Schule beruhen. Es kann sowohl eine öffentliche Schule als auch eine Privatschule in Zürich sehr gut sein. Sicher ist, dass an einer privaten Primarschule in Zürich motiviertes Lernen sicher stärker ist, da die Schüler von den Eltern aktiv motiviert und unterstützt werden. Eine öffentliche Sekundarschule Zürich kann sicherlich auch mit Unterstützung überzeugen. Jedoch sollte die Entscheidung schlussendlich auf die Qualität beruhen.
Gäste - Magdeburger (website) am Dienstag, 09. Januar 2018 07:29

Das Privatschulen die Gesellschaft spalten kann ich bei unserer nicht bestätigen. Meine Tochter geht auf eine Katholische Privatschule in Magdeburg. Dem Direktor war es von vornherein wichtig, Kinder aus allen Gesellschaftsklassen in einer Klasse zu haben. So ist es bei uns tatsächlich so, das unter den 25 Schülern alle Gewerke und Schichten miteinander lernen. Ich finde das sehr vorbildhaft und freue mich das bei uns auf so etwas geachtet wird. Sicherlich mag es auch elitäre Privatschulen geben, diese gab es aber schon immer.

Das Privatschulen die Gesellschaft spalten kann ich bei unserer nicht bestätigen. Meine Tochter geht auf eine Katholische Privatschule in Magdeburg. Dem Direktor war es von vornherein wichtig, Kinder aus allen Gesellschaftsklassen in einer Klasse zu haben. So ist es bei uns tatsächlich so, das unter den 25 Schülern alle Gewerke und Schichten miteinander lernen. Ich finde das sehr vorbildhaft und freue mich das bei uns auf so etwas geachtet wird. Sicherlich mag es auch elitäre Privatschulen geben, diese gab es aber schon immer.
Gäste - Privatschule Fan (website) am Mittwoch, 17. Januar 2018 14:46

Es gibt natürlich Argumente für beide Seiten. Dass Privatschulen kleine Klassen bieten ist sicherlich eines für Privatschulen. Da kann es schon sein, dass Schüler individuell gefördert werden und besser auf Probleme beim Verständnis eingegangen werden kann.

Es gibt natürlich Argumente für beide Seiten. Dass Privatschulen kleine Klassen bieten ist sicherlich eines für Privatschulen. Da kann es schon sein, dass Schüler individuell gefördert werden und besser auf Probleme beim Verständnis eingegangen werden kann.
Bereits registriert? Hier einloggen
Gäste
Sonntag, 28. April 2024

Sicherheitscode (Captcha)

By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://margritstamm.ch/