Wenn die Betreuerin von den Kindern mehr geliebt wird als von der Mutter...
Kürzlich war ich wieder einmal zum Schwimmen im Hallenbad. Jedermann, der dorthin geht, auf einen Spielplatz oder in ein Einkaufszentrum, stellt fest, dass sich die Zeiten geändert haben.
Eine neue Gruppe der Ersatzmütter: die Nannys
Vor Jahren, als unsere Kinder im Schulalter waren, gab es drei Gruppen von Frauen: die Hausfrauen, die Berufsfrauen und die Teilzeitlerinnen, welche die Probleme der Haus- und der Berufsfrauen verstanden. Im Zuge der verstärkten Berufstätigkeit der Mütter und der kostenintensiven Kitabetreuung gibt es heute eine vierte Gruppe: die Nannys, auch Kinderfrauen genannt.
An diesem besagten Hallenbad-Tag sah ich in der Garderobe Mütter, welche sich bemühten, ihre Kinder trocken zu schrubben und sie anzuziehen, auch wenn diese sich immerzu widersetzten. In einer Ecke sass eine hübsche blonde Frau, die sang und lachte, währendem sie ihre vier Kinder mit grosser Freude und auch Leichtigkeit anzog. Ich sprach sie an, wie gut sie es mit ihren Kindern habe, doch sie antwortete: „Nein, ich bin nicht ihre Mutter, ich bin nur die Nanny.“
Mütter vergleichen sich immer: Wer ist besser?
Eine Mutter zu sein ist nicht nur das Beste im Leben, was einem passieren kann. Eine Mutter zu sein ist auch hart. Ich weiss dies aus eigener Erfahrung und aus unseren Studien. Mütter vergleichen sich mit anderen Müttern, auch wenn sie dies vielleicht nie zugeben würden. Neu ist allerdings, dass sich Mütter heute auch mit den Personen auseinandersetzen, die ihren Kindern besonders nahestehen: mit den Kita-Betreuerinnen, den Tageseltern, mit der eigene Mutter oder Schwiegermutter, welche die Kinder betreut und am stärksten mit der Nanny.
Sobald es um ein bezahltes Berufsverhältnis zwischen Auftraggeberin (Mutter) und Auftragnehmerin (Kinderbetreuerin, Nanny) geht und dieses Berufsverhältnis zu Hause stattfindet, wird die Beziehung zwischen den beiden einmalig. Zwar geht es vordergründig immer um eine Dienstleistung, hintergründig aber um Liebe, Zuneigung und Konkurrenz. Nicht wenige Mütter tragen innere Kämpfe aus und bekommen Probleme mit dem Selbstvertrauen, wenn sie erkennen, dass diese Betreuungsperson im Leben des Kindes eine wichtige Rolle spielt. Dann bekommt plötzlich eine Frage viel Raum: Wer ist besser?
Eine perfekte Nanny belastet die Mütter
Die Beziehung zwischen Mutter und Betreuungsperson ist für mich als Forscherin faszinierend. Gerade auch dann, wenn diese Person als Betreuerin oder als Nanny in ihrer Arbeit brilliert, sie reibungslos erledigt und die Kinder selig an sie gebunden sind, denn dies beeinflusst auch das persönliche Leben der Mutter. Betreuerinnen beeinflussen ihre Chefinnen auf einem sehr persönlichen Niveau. In unserer Vorstudie zu einem neuen Projekt zu "Ersatzmüttern" ("Mary Poppins Studie") haben wir verschiedene Kinderfrauen interviewt. Eine sagte:
«Ich bin gerne gut, aber ich will nicht zu gut sein, weil die Mutter dann beginnen könnte, mir dies zu verübeln.“
«Ich arbeite so hart, die Kinder lieben mich, aber die Mutter ist nicht zufrieden mit mir.»
Hinter dem Konzept der Betreuerin, welche im Hause der Familie arbeitet, steckt eine eigenartige Spannung. So liegt der Berufserfolg der Nanny darin, perfekt die Kinder der Chefin zu betreuen. Trifft dies jedoch zu, dann erzeugt eine solche Dynamik auch Zwänge zwischen Frauen. Denn für eine Mutter ist es hart zu sehen, dass eine andere Person ihren Nachwuchs in einer ähnlichen Art liebt wie sie selbst. Genauso hart ist es, wenn diese Nanny die Kinder vielleicht genauso gut wie sie selbst oder sogar besser erzieht.
Psychische Abwehrreaktionen
Ein Beispiel: Ein zweieinhalbjähriges Mädchen nennt die Nanny anstatt «Maria» Mama-Mia. Ist die Mutter aber da, dann nennt sie Maria beim richtigen Namen. Allein diese Sprachverwendung führte die Mutter in eine direkte psychische Abwehrreaktion. Ihr erster Gedanke war, dass das Kind die Nanny mehr liebt als sie. Wäre die Mutter emotional distanzierter gewesen, hätte sie die Situation vielleicht auch als Abbild dessen sehen können, was diese Mama-Mia für das Kind bedeutet. Nämlich, eine Ersatz-Mutter zu haben, weil die tatsächliche Mutter bei der Arbeit ist und eine Maria, wenn die Mutter da ist.
Als ich diesen Blog zu schreiben begann, fragte ich ein neunjähriges Mädchen in unserem Freundeskreis, das von einer Nanny betreut wird, was denn seine richtige Mutter von der Nanny (mit dem Namen Erika) unterscheide. Es sagte:
«Ich liebe es, mit Erika im Keller oder im Garten zu spielen, aber ich liebe es vor allem, allein mit Mama zusammenzusein.»
Keine Sorge, Mütter haben wenig Konkurrenz
Eines der grössten Probleme berufstätiger Mütter sind die Stimmen im Kopf, dass die Nanny oder irgendeine andere Kinderfrau die bessere Arbeit leistet als sie selbst und diese von den Kindern vielleicht sogar mehr geliebt wird. Diese Angst ist vor allem dann verständlich, wenn die Betreuerin eine gute erzieherische Ausbildung hat. Denn Mütter tun ihren Job als Familienfrauen meist ohne entsprechende Ausbildung. Gleichwohl sollten sie ihre inneren kritischen Stimmen beruhigen und Fakten von Fiktionen trennen. Die Forschung* zeigt relativ eindeutig, dass die meisten Kinder nie zusammenzählen, welche der Mütter - ob die Ersatzmutter oder richtige Mutter - was tut.
Was sich Kinder jedoch von ihren richtigen Müttern wünschen, ist die konzentrierte Aufmerksamkeit, Liebe und Wertschätzung. Kinder brauchen keine beste Fussball- oder Eislaufmutter, aber auch keine beste Hausfrau. Kinder möchten vor allem Zeit mit der «richtigen» Mama – und, dass sie nicht immer so gestresst ist**.
Weiterführende Literatur
*Macdonald, C. L. (2011). Shadow Mothers .Nannys, Au Pairs, and the Micropolitics of Mothering. Berkeley: University of California Press.
**Galinsky, E. (2009). Ask the children: What America's children really think about working parents. New York: William Morrow and Company, Inc.
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