Die Lösung heisst: Spätere Karrieren für Frauen und Männer
erschienen in: NZZ am Sonntag, 26.10.2014, S. 21
Würden wir Frauen wie Männer funktionieren, ginge es der Wirtschaft besser. So zumindest kann man verschiedene Schlagzeilen interpretieren, welche in letzter Zeit Furore gemacht haben. Die neuste ist die von letzter Woche zum Einfrieren weiblicher Eizellen. Dieses «Social Freezing», auch als «Gefrierprämie» bezeichnet, bieten Facebook und Apple ihren Mitarbeiterinnen an, damit sie im besten Alter nicht Kinder bekommen und dadurch den Betrieb vor grosse Herausforderungen stellen. Einige Wochen zuvor hatten die 50‘000 studierten Hausfrauen Schlagzeile gemacht, die in der Schweiz am Herd stehen anstatt im Beruf. Und vor zwei Wochen hiess es sogar, dass diese Frauen dem Staat die Studienkosten zurückzahlen müssten, wenn sie nicht arbeiten gehen würden.
Gemeinsam ist all diesen Schlagzeilen eine klare Botschaft: Frauen sollen Karriere machen – und wir wollen sie dabei unterstützen! In der Tat tönt dies gut, nach Verwirklichung von Chancengleichheit, nach Emanzipation und Gleichberechtigung. Ein differenzierterer Blick zeigt jedoch, dass Frauen so zur Manövriermasse werden, um den Fachkräftemangel zu lindern. Das Perfide daran ist jedoch, dass der nächste markante wirtschaftliche Abschwung dazu führen dürfte, die Frauen, und nicht die Männer, aufs Eis zu legen. Dies war schon mindestens zweimal der Fall: in den 1970er und den 1980er Jahren.
Selbstverständlich kann man die drei Beispiele nicht über den gleichen Kamm scheren. Die Sache mit der Gefrierprämie etwa ist tricky. Auf den ersten Blick wirkt sie nämlich besonders frauen- und familienfreundlich. Denn wer möchte nicht für Firmen tätig sein, welche eine spätere Mutterschaft von Frauen unterstützen? Auch ich hätte mich vielleicht in meinen jungen Jahren für ein solches Angebot entschieden. Leider ist es ausgesprochen trügerisch, denn dahinter steckt ein Verständnis, dass Kind und Karriere nicht vereinbar sind. Frauen, die nicht schwanger werden, sind nach dieser Leseart eine Wohltat für den Betrieb. Denn er muss sich nicht um Mutterschaftsurlaub und um abstillende Frauen kümmern.
Überhaupt nicht frauen- und familienfreundlich sind die beiden anderen Forderungen. Denn sie würdigen mit keinem Blick die aktuelle Situation der Mütter im Hinblick auf die Vereinbarung von Familie und Beruf. Frauen werden auf eine ausgesprochen subtile Art instrumentalisiert. Man tut so, als ob es etwas ganz Normales sei, Kinder und Karriere in einem 100%-Job unter einen Hut zu bringen – wenn nur genügend Krippenplätze zur Verfügung stünden. Als ob es nur daran liegen würde! Es geht vielmehr um unsere rückständige Arbeitskultur. Wir haben nicht nur zu wenig, sondern auch viel zu teure Kitas, kaum flexible Arbeitsstrukturen und für Männer viel zu wenig Teilzeitstellen. Vor allem jedoch sind wir nach wie vor eine Gesellschaft, in welcher der Haushalt noch weitgehend von den Müttern geschmissen und ihnen auch die Hauptverantwortung zugeschoben wird, wenn etwas in der Familie nicht klappt. Von den ca. 10% Teilzeitvätern abgesehen, die oft viel Verantwortung übernehmen, packen viele Männer zwar mit an, aber vor allem am Wochenende und so, dass ihre Karriere nicht beeinträchtigt wird. Vor diesem empirisch bestätigten Hintergrund erstaunt es kaum, dass viele Frauen diese Doppelbelastung enorm spüren und die Zahl der Burn-out-Fälle drastisch angestiegen ist.
Diese Beispiele zeigen, wie kurzsichtig unsere Gesellschaft geworden ist, wenn sie ausschliesslich junge Frauen und Mütter in den Blick nimmt und sie im Hinblick auf Familienplanung sowie Vereinbarung von Familie und Beruf unter Druck setzt. Würden wir uns stärker auf das lange Leben und die Erkenntnisse der Lebensspannenpsychologie ausrichten, wonach Frauen und Männer heute in der zweiten Lebenshälfte viel veränderbarer und entwicklungswilliger sind, so würden wir mehr auf ihr wirtschaftliches Potenzial setzen.
Dies wiederum wäre für junge Frauen und ihre Partner eine befreiende Einsicht: in Betracht zu ziehen, dass man im Leben nicht alles früh schon erreicht haben muss. Deshalb ist es falsch, die Anforderungen an Mütter immer mehr zu erhöhen. Genauso falsch ist es, dass Frauen dank der Gefrierprämie Karriere machen können, dafür aber ihre Kinder erst spät bekommen sollen. Denn, wieso sollte es mit 40 oder 50 einfacher sein, Kind und Karriere vereinbaren zu können als in jungen Jahren? Was wir vielmehr brauchen ist die Chance, sich in der intensivsten Familienphase etwas zurücknehmen zu können, um sich später dann richtig reinzuhängen. Ein solches «Work Freezing» würde Frauen und Männern ohne schlechtes Gewissen erlauben, auch später Karriere machen zu können.
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Kommentare 1
Herzlichen Dank für dieses Statement! Mehr solche Meinungsführerinnen und Meinungsführer würden helfen, damit nicht die gesellschaftlichen Erwartungen unsere Familien unter ihrem Druck einknicken lassen.