Zwischen familienfreundlich und Kinderverbot: Schizophrenes Ferienleben
Wir waren zwei Wochen auf der wunderbaren Nordseeinsel Sylt in den Ferien. Vorher hatten wir in Hamburg und Umgebung Halt gemacht. Dieser Teil Deutschlands ist einmalig: wunderbare Landschaften, angenehmes Klima und unzählige Freizeitmöglichkeiten. Wo schon findet man gleichzeitig Himmel und Meer, Brandungsbaden, mannshohe Wellen, Dünen, Wattwanderungen, Reetdächer, Strandkörbe, aber auch hüllenloses Baden an FKK-Stränden? Die Insel gilt als die Ferieninsel schlechthin. Schon im 19. Jahrhundert schwörte, wer auf Sylt Ferien machte, auf die heilende Kraft des Nordseeklimas. Doch was ist es, das Sylt so beliebt macht? Erstens, dass die Insel ein Paradies für Familien mit Kindern ist, zweitens aber auch ein Paradies für die «Ü65» inklusive für die Schönen und Reichen. Segen oder Fluch?
Ein Segen ist Sylt sicher, weil die Insel als Ferienparadies der Familienfreundlichkeit wirbt. Ich habe noch selten so viele familienfreundliche Hotels und Clubs gesehen, in denen Eltern bereits Neugeborene von Babysittern betreuen lassen und ältere Kinder fast Tag und Nacht in die Obhut von Kinderanimatoren geben können. Es gibt sogar Restaurants, in denen Eltern ihren Nachwuchs auch fürs Essen im Kinder-Schlaraffenland abgeben und so ungestört unter sich sein können. Toben und Schreien sind sehr hier willkommen – in garantiert extra familienfreundlichen Zonen.
Die andere Seite der Kinderfreundlichkeit ist der Fluch ihres Verbots. Zwischen Hamburg und Sylt gibt es eine schöne Anzahl Hotels, in denen Kinder unerwünscht sind. «Ü14» heissen sie in der Regel, und sie werben mit «Adults only». Familien- und kinderfreundlich zu sein ist in Deutschlands Norden – wie natürlich in vielen anderen Gegenden Europas und auch in anderen Kontinenten – keine Selbstverständlichkeit. Weshalb jedoch werden Kinder ausgesperrt? Eine Hotelière in Hamburg hat mir klipp und klar gesagt: «Weil Kinder keine dezenten und formbaren Gäste sind.» Sie seien nicht nur oft zu laut, schlecht erzogen und würden mit ihren Schokofindern alles dreckig machen, sondern vor allem auch die dezentere und einträglichere Kundschaft vertreiben.
Über eine solche Aussperrtaktik kann man geteilter Meinung sein und es lässt sich durchaus von einem notwendigen Wettbewerb im Tourismus sprechen. Deshalb ist anzunehmen, dass sich Hotels zukünftig immer mehr spezialisieren werden: auf familienfreundliche Hotels, auf solche für Singles, für verliebte Paare, für «Ü65» oder eben für «Ü14». Nur frage ich mich, welche gesellschaftlichen Entwicklungen die Tatsache spiegelt, dass das eine Hotel damit wirbt, Kinder zu mögen und das andere, sie auszusperren. Ist es nicht abstrus, dass unsere Gesellschaft die Menschen immer mehr in Zonen für bestimmte Gruppen einteilt, während alle Welt von «Generationenhäusern», vom Wert der Grosseltern für ihre Enkel, aber auch von «interkultureller Kompetenz», von «Multikulturalität» oder «Diversity-Management» spricht?
Kindergeschrei sei die Musik der Zukunft, damit unsere Gesellschaft überleben könne – stand vor ein paar Tagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Eine Logik des Zwangsläufigen oder eher der Perversion? In den Ferien unter sich bleiben – das darf doch keine Nische mit Zukunft sein!
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Kommentare 4
Sehr geehrte Frau Stamm
ich gehöre zu denen, die es geniessen, den Kurzurlaub in Hotels zu verbringen, wo es kein Kindergeschrei hat. Ich hatte früh (mit 22 Jahren) bereits Kinder, die unterdessen erwachsen und ausgezogen sind. Ich habe gemerkt, dass ich mit Kindern nicht unbedingt kompatibel bin - mich nervt Kindergeschrei und wenn ich abends lecker essen gehe, möchte ich das in einer ruhigen Atmosphäre tun.
Ja, ich bin egoistisch - aber genau darum gibt es diese "Zonen", damit Egoisten wie ich sich trotzdem wohlfühlen.
Und kürzlich befragte die Pendlerzeitschrift "20 Minuten" die Airline Swiss, ob man es sich dort auch vorstellen könne, kinderfreie Flüge anzubieten - wie das wohl bei anderen Airlines schon der Fall zu sein scheint. Auch wenn Swiss das verneinte - ich habe mich sehr darüber geärgert. Natürlich ist ein schreiendes Baby auf einem Langstreckenflug nervig, keine Debatte. Aber wer denkt an die Eltern, die auch nur beten, diesen Flug hinter sich zu bringen? Und wer an das Kind, für das so eine lange Reise mit seltsamer Umgebung und merkwürdigen Gerüchen vielleicht einfach furchteinflössend oder langweilig ist? Mir fiel das alte afrikanische Spichwort ein, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Moderne Eltern sind aber oft allein gelassen und leider ist es im Flieger selten so, dass die nette Nachbarin sich als so kinderfreundlich entpuppt zu sagen: "Ich trage dieses süsse Baby gern mal 10 Minuten herum und Sie ruhen sich aus."
Fazit: Eine Gesellschaft, die - wenigstens zeitweise - Kinder ausgrenzt, in der Kindergeschrei nervt, aber Auto- und Rasenmähergeräusche als unvermeidbar in Kauf genommen werden, ist das wirklich die Gesellschaft, in der wir leben wollen?
es ist ein wirklicher Balanceakt, aber letztendlich entscheiden das die Eltern, ich kann für ferien mit kindern einmal mehr dem swiss Holiday park den vorzug geben
Guten Tag
Als Mutter zweier eher wilder, lebhafter und neugieriger Kinder macht mich diese kinderfeindliche Entwicklung/Tendenz sehr nachdenklich und traurig zugleich . Wie sollen Kinder denn überhaupt die gesellschaftlichen Regeln und Normen ausserhalb der eigenen vier Wände lernen, wenn sie aus Hotels und Restaurants verbannt werden? Dass wir unsere beiden Kinder nicht zwingend überall hin mitschleppen, ist für uns jedoch selbstverständlich. Am liebsten sind wir dort, wo wir als Familie, also inkl. der Kinder, herzlich willkommen sind. Aus Rücksicht auf unsere Kinder verzichten wir auch mal auf den einen oder anderen Event oder organisieren Für einen kinderfreien Abend zu zweit auch gerne ab und zu einen Hütedienst. Doch dies entscheiden wir Eltern gerne noch selber und lassen uns nicht bevormunden und vorschreiben, was wir wann, wie und wo mit unserem Nachwuchs zu tun bzw zu unterlassen haben. So sind wir auch hin und wieder im Restaurant anzutreffen, und darunter verstehe ich nicht nur die typischen Selbstbedienungsrestaurants mit Spielecke (Coop, Migros, Manor, Ikea), sondern „normale“ mit Bedienung. Mit etwas guter Vorbereitung und etwas Improvisation - Büechlis und Malsachen nehmen wir meistens selber mit – ist der Restaurantbesuch auch gar kein Problem. Leider machte ich vor einiger Zeit gerade im Restaurant mit Spielecke eine sehr ärgerliche und kinderfeindliche Erfahrung, als einige ältere Leute sich lauthals und respektlos ab meinen und anderen etwas laut, aber sehr friedlich spielenden Kindern beschwerten und diese als Saugoofen mit Saulärm beschimpften. Darüber kann ich als Mutter nur traurig und enttäuscht den Kopf schütteln und mich für die Kinder wehren. Warum setzten sich diese Nörgler auch „Ums Verrecken“ in ein solches Lokal und dann noch ausgerechnet in die Nähe der Spielecke, wenns A) im ganzen Restaurant noch viele freie Plätze und B) im ganzen Quartier noch viele weitere Tearooms ohne Spielplatz gehabt hätte?! Ich setzte mich früher als überzeugte Nichtraucherin auch nicht extra im Zug ins Raucherabteil, um dann über die Raucher, den Gestank, den Rauch und das Nikotin abzulästern… Wie sollen Kinder und Jugendliche Respekt haben, wenn ihnen dieser wichtige Wert von den Erwachsenen im Gegenzeug nicht entgegengebracht wird? Schreiende, weinende und trotzende Kinder sind nicht per se ungezogen bzw. schlecht erzogen und deren Eltern per se mit der Kindererziehung überfordert. Einfach traurig, dass Eltern von Kindern im Trotz- und Quengelalter so oft und rasch vorverurteilt und in einen Topf geworfen werden, statt eine gerechte Chance zu kriegen. Die Motzer sollen bitte einfach bedenken, dass auch sie mal (laute) Kinder waren und nicht bereits als stille, brave, ruhige, „trockene“, lebenserfahrene und wohlerzogene Erwachsene zur Welt gekommen sind. Kinder sind und bleiben unsere Zukunft, die Gäste und Kunden von morgen und lassen sich nicht einfach wegzaubern, bloss weil sie einigen Griesgramen im Wege sind. Sie sind ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft und gehören in unser Leben, in unseren Alltag, in unsere Welt und nicht in ein Paralleluniversum! Mit etwas mehr Mit- und Füreinander statt Gegeneinander, weniger Anfeindungen und Vorverurteilungen, dafür mehr Leben und leben lassen, mehr Toleranz, Rücksicht, Respekt, Akzeptanz, Verständnis, Geduld, Lockerheit, Gelassenheit, Hilfsbereitschaft, Anstand und gesundem Menschenverstand auf Seite der Kinderlosen und der Eltern wäre das Zusammenleben noch viel entspannter, friedlicher, gemütlicher, harmonischer und einfacher !
Freundliche Grüsse
Andrea Mordasini, Bern