Goldmedaillen-Eltern: Wie Eltern im Sport Superkids schaffen.
Ich bin eine passionierte Joggerin und nehme an Mittelstreckenläufen teil. Dabei fällt mir zunehmend ein Phänomen auf, das auch in den Medien vermehrt Aufmerksamkeit erhält: dass ehrgeizige Eltern ihre kleinen Knirpse an so genannte «Kids-» oder «Bambiniläufe» anmelden, sie genauestens in ihrem Laufen beobachten und sie dann regelrecht über die Ziellinie zerren. Viele Organisatoren solcher Veranstaltungen sagen, dass dies bei Kinderläufen schon fast zur Normalität gehöre.
Auch Schwimm- oder Fussballtrainer berichten Ähnliches: Weinende Kinder, schreiende Erwachsene und kein bisschen Spass. Nicht selten verwechseln Eltern ihren eigenen Ehrgeiz mit dem ihrer Kinder. Etwas despektierlich wird dabei von Helikoptereltern gesprochen, die nonstop um ihre Kinder schwirren und beispielsweise im Sport den Nachwuchs früh schon an die Spitze treiben wollen. Dieses Phänomen ist ebenso in unserer FRANZ-Studie empirisch nachzuweisen. In dieser Studie nennen wir sie «Goldmedailleneltern*» oder auch «Trainings-Eltern», die olympiareife Sportler heranzüchten möchten und nichts unterlassen, dieses Ziel - zumindest in ihren Träumen - zu erreichen. Auch Verbände berichten von skurrilen Begebenheiten, so etwa, dass es immer wieder zu Ausschreitungen unter Eltern komme und sie die Notbremse ziehen oder gar die Polizei alarmieren müssten, wenn neben dem Platz die Fäuste fliegen oder ein Schiedsrichter massiv bedroht werde.
Goldmedaillen-Eltern haben eine Superkids-Mentalität. Dieser Gruppe, zu der 10 Prozent unserer Stichprobe gehören, ist die sportliche (manchmal auch die musikalische) Laufbahn des Kindes besonders wichtig. Dabei stellen sie ihr Engagement zu einem grossen Teil in den Dienst ihres Nachwuchses, d.h. dass die Väter für die finanzielle Ausstattung der Familie, die Mütter für Haushalt und Familie verantwortlich sind und höchstens ein paar Stunden pro Woche Teilzeit arbeiten, um das Familienbudget aufzubessern und damit auch das teure Hobby des Sprösslings mitfinanzieren zu können. Dabei ist es für sie selbstverständlich, manchmal täglich und auch am Wochenende für ihr «talentiertes» Kind als Eltern-Taxi bereit zu sein und dabei auch noch den Terminkalender im Griff zu haben. Die Mütter spielen dabei eine zentrale Rolle.
Frühes intensives Training und Üben oder Wettbewerbs- und Wettkampferfahrungen machen den Goldmedaillen-Eltern keine Angst, im Gegenteil. Meist sind sie der Ansicht, dass sich dies positiv auf die mögliche Karriere des Sprösslings auswirkt. Nicht selten hoffen sie, ihre Investitionen über ein späteres Profisalär des Kindes um ein Vielfaches wieder hereinzubekommen. Deshalb zeigen sie auch kaum Angst, dass das Kind angesichts der hohen Herausforderungen physische oder psychische Schäden davontragen könnte. Vielmehr sind davon überzeugt, dass es von den Erfahrungen aus dem Wettbewerb nur profitiert.
Selbst stufen sie sich zwar meist als eher zurückhaltend ein, trotzdem argumentieren sie oft mit dem Roger Federer-Modell, der ja schliesslich auch mit vier Jahren angefangen hat, Tennis zu spielen. Seine Eltern seien gar keine typischen Tenniseltern gewesen, sondern er habe diesen Weg selbst gewählt. Die Wunderkinderforschung** zeigt jedoch einhellig, dass die Zahl derjenigen, denen eine solche Karriere misslingt und die den elterlichen Ambitionen nicht genügen, gross ist.
Hat das Phänomen der Goldmedaillen-Eltern zugenommen? Oder gibt es gar mehr talentierte Kinder als je zuvor? Wir wissen es nicht. Denn es gibt keine Längsschnittstudien hierzu. Eher handelt es sich um eine gesellschaftlicheund vor allem auch um eine bildungspolitische Entwicklung. Seit 15 Jahren bekommen Eltern die immer gleiche Botschaft zu hören: Liebe Eltern, Ihr seid für Euer Kind selbst verantwortlich, im Guten wie im Schlechten. Das ist Eure Aufgabe! Damit sie diese Botschaft umsetzen können, steht ihnen ein riesiges Arsenal an Experten zur Verfügung. Entspricht das Kind nicht den Vorstellungen oder den Wünschen der Eltern, kann es ja therapiert oder eben noch exklusiver gefördert werden. Der Spitzenfussballer oder die Primaballerina liegt dann immer noch drin.
Leider zeigt keine einzige Studie, dass sich Elternehrgeiz dermassen lohnt. Väter und Mütter spielen zwar eine zentrale Rolle, inwiefern sie ihr Kind in seinen Interessen unterstützen und ihm auch helfen, seine möglichen motivationalen und anderen Blockaden zu überwinden. Aber wenn sie das Talent des Nachwuchses mit dem eigenen Ehrgeiz verwechseln, dann resultiert meist eine psychische Gefährdung: Kinder, die in jungem Alter Wettkampferfahrungen machen müssen, aber noch gar kein Gefühl von Sicherheit und Selbstbewusstsein ausgebildet haben, lernen lediglich, dass ihre Eltern für sie kämpfen und sich mit anderen Eltern streiten, ohne dass sie verstehen, worum es denn genau geht.
Das Fazit aus der vielfältigen Forschung ist dieses: Liebe Eltern, macht Eure kleinen Kinder nicht zu Kampfmaschinen. Euer Leistungsdruck kann vor allem zur Folge haben, dass Eure Kids nicht lebenstüchtig werden. Verwirklicht Euch selbst und praktiziert eine entspanntere Erziehung!
*Stamm, M. (2016). Lasst die Kinder los! Warum entspannte Erziehung lebenstüchtig macht. München: Piper.
** Stamm, M. (2014). Handbuch Talententwicklung. Theorien, Methoden und Praxis in Psychologie und Pädagogik. Bern: Huber.
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Kommentare 2
Danke für diese interessanten Ausführungen. Sie machen mich an eine (umgekehrte) Erfahrung mit unserem Sohn (damals 5 1/2 J) vom vergangenen Sommer denken: er wollte unbedingt an einem Triathlon teilnehmen. Das erste Mal, in seiner Kategorie. Eine Vorstellung von Wettbewerbsverhalten hat er (läuft auch gern mit seinem besten Freund um die Wette), und Spass am Sport hat er auch. Mama und Papa haben beide aus reinem Vergnügen schon an diversen (Halb-)Marathons etc mitgemacht und waren daher einverstanden. Problem: wir wollten den Sohnemann bewusst gerade nicht auf den Wettbewerb einschwören oder gar strategisch "impfen" sondern in einfach machen lassen (nach dem Motto "Dabeisein ist alles"). Er hat dann den weitesten Weg im Wasser gewählt (in dem Alter fehlt ja jede Vorstellung von strategischer Plazierung), dadurch viel Zeit verloren und war am Ende nicht auf dem Treppchen... und fürchterlich enttäuscht. Da bin ich als Mutter schon hin- und hergerissen, ob ich ihm das nächste Mal nicht doch ein paar Tipps geben sollte, um ihm Enttäuschungen zu ersparen....
Ja, mein 7jähriger spielt Eishockey, trainiert 3 Mal die Woche, daneben gehen wir auch während unserer Freizeit auf die Eisbahn und am Wochenende fahren wir bis zu 2 Stunden an die Matches. Ihrem Bericht nach gehören wir in die Schublade der Eltern mit Superkids-Mentalität, welche ihre Kinder über den eigenen Ehrgeiz definieren, gesteckt. Wieso? Weil unser Sohn eine Leidenschaft in Form von Mannschaftssport gefunden hat? Weil er lernt, seinen Platz in der Gruppe zu finden, sich einzufügen und gleichzeizig auch zu behaupten? Weil er als Junge einen gesunden Raum gefunden hat, seinem natürlichen Drang nachzugehen, sich mit anderen zu messen? Weil er lernt, sich selber realistisch einzuschätzen und auch mit Niederlagen umzugehen? Weil wir nach den Matches miteinander über seine Erfahrungen sprechen, seine Emotionen mit ihm teilen - ja, auch mal einen Tipp auf den Weg geben? Gibt es ein Feld, dass lebenstüchtigter macht, als Mannschaftssport?
Sie plädieren auf Intuition bei der Erziehung statt übersetzte Elternerwartungen: Ich vertraue meiner Intuition und der Intuition meines Kindes: Wenn es ihm zuviel wäre, würde er Signale aussenden, welche wir sofort respektieren würden. Momentan sagt mir meine Intuition aber immer wieder aufs Neue, dass es genau sein Ding ist: Hier/Jetzt! Sein Glücklichsein strahlt auf uns Eltern ab. Zugegeben ein Zustand, der uns alle etwas süchtig macht... Dafür lohnt es sich für uns unzählige Stunden auf der Eisbahn zu verbringen, lange Fahrten auf uns zu nehmen, immer wieder Mithilfe im Club zu leisten... und das Ganze - ob Sie es glauben oder nicht - ohne Erwartung auf einen Profivertrag und die endlich-für-alles-entschädigende Gage... sondern einfach nur aus Freude und Liebe zum Sport und Liebe zum Kind.
Ihre Pauschalisierungen empfinde ich als sehr enttäuschend.