Helikoptereltern
Vor ein paar Tagen hat mir ein Kollege, Rektor eines Gymnasiums im Schweizer Mittelland, geschrieben, dass sie an seiner Schule immer mehr Probleme mit den Eltern – und weniger mit den Schülern - hätten. Eltern würden sich zunehmend für ihr ‚Kind‘ (auch wenn es bereits gegen zwanzig geht) verantwortlich fühlen, für seine Noten und seine soziale Befindlichkeit in der Schule. Und häufig würden sie nun auch bei der Maturaarbeit eine wichtige Rolle einnehmen.
Sein Mail hat mir sogleich in Erinnerung gerufen, dass wir auch an unserer Universität zunehmend mit einer solchen Klientel zu tun haben. An der Eröffnungsveranstaltung für Erstsemestrige im letzten Herbst (2012) hatten wir doch tatsächlich zwei junge Frauen, die von ihren Müttern begleitet wurden. Auch Kollegen von anderen Universitäten, ebenso Arbeitgeber und Berufsberatungen, berichten mir fast einhellig von einer zunehmenden Einmischung der Eltern in die Karriereplanung ihres Nachwuchses. In Deutschland hat man bereits ‚Elternkongresse‘ oder ‚Elternalarme‘ eingerichtet, damit Eltern lernen können, wie das Studium ihres Sohnes oder ihrer Tochter funktioniert und wie sie als ‚Co-Studienberater‘ tätig sein können.
Passgenau zu dieser Entwicklung ist das neue Handy, «Primemobile» genannt. Es erlaubt Eltern zukünftig, ihre Kinder an der kurzen Leine zu halten. Über ein passwortgeschütztes Internetportal können sie jederzeit detailliert kontrollieren, wen ihre Kinder anrufen, ob sie SMS schreiben oder im Internet surfen. In den USA hat sich für diese Art von Eltern schon vor einiger Zeit der Begriff helicopter parents eingebürgert. Wie Helikopter kreisen sie über ihre – vielleicht bereits langsam erwachsen werdenden Kinder – um ihren Lebensweg beeinflussen und sofort landen zu können, wenn es irgendwo Probleme gibt. Jugendliche mit einem Primemobile müssen somit in Zukunft damit rechnen, dass sie ihre Eltern um Erlaubnis bitten müssen, wenn sie einen Schwarm anrufen möchten.
Aber gerade sie sind es auch, die nicht loslassen können. Als bumerang kids, kommen sie immer wieder zurück, heim ins Hotel Mama. Oft auch dann noch, wenn die Ausbildung bereits abgeschlossen ist. Sie sind vielleicht 25 oder schon 30, können einfach nicht erwachsen werden, weil sie die Eltern nicht loslassen. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber unseren Kindern wäre es mehr als peinlich gewesen, wenn wir Eltern sie als Zwanzigjährige zur Hochschule oder zur Studienberatung begleitet hätten. Die Zeiten haben sich eben geändert, aber in dieser Hinsicht nicht zum Guten.
Warum lassen heutige Eltern ihre Kinder nicht mehr los? Vielleicht, weil sie ihr Kind als eigenes Projekt sehen, in das sie so viele Jahre investiert haben und das sie nicht einfach so aufgeben wollen? Vielleicht auch, weil die Ehe in die Brüche gegangen ist und das ‚Kind‘ die einzige Konstante in ihrem Leben ist? Oder vielleicht, weil eine Zweisamkeit mit einem neuen Partner vor der Tür stehen würde, vor der sie sich aber fürchten?
Dass Eltern ihre Kinder zu sehr lieben können, das schreibt die Psychoanalytikerin Caroline Thompson in ihrem Buch «Die Tyrranei der Liebe». Das Kind ist zu einem narzisstischen Objekt geworden, das durch seine Perfektion den Eltern Wert verleiht und ihre Existenz rechtfertigt. Den Kindern tut dies mit Sicherheit nicht gut tut. Aus der Forschung wissen wir zur Genüge, dass solche Kinder nicht nur zu chronisch unselbstständigen Menschen erzogen, sondern auch um eine entwicklungspsychologisch wesentliche Lernerfahrung gebracht werden: selber, ohne Elternhilfe, etwas zu erreichen und erfolgreich ein Hindernis zu überwinden, das Anstrengung und Ausdauer erfordert.
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Kommentare 1
Guten Abend
Auch ich, eine zweifache Mutter, bin der Überzeugung, dass überbeschützende Helikoptereltern ihren in Watte gepackten Kindern einen Bärendienst erweisen und sie in der normalen, gesunden Entwicklung hemmen und bremsen. Schützen ist ok, Überbeschützen jedoch nicht! Wir dürfen und können unsere Kinder nicht überall und andauernd vor sämtlichen Gefahren und Unannehmlichkeiten bewahren und ihnen alle Hürden und Steine aus dem Wege räumen, Aufgaben und Verantwortung abnehmen. Sie müssen Gefahren kennen, um davor Respekt zu haben. Sie müssen auf die "Schnauze" fallen, um wieder aufstehen zu können. Stürze, aufgeschlagene, blutende Knies, blaue Flecken und Beulen gehören zu einem "normalen" Kinderleben dazu genau wie Siege und Niederlagen, Misserfolge und Erfolge. Nur so lernen sie, sich im Leben, in der Gruppe und in der Gesellschaft zu behaupten und zu bestehen. Einige dieser überbehüteten und kontrollierten Kinder/Jugendlichen werden jedoch "verweichlicht", unsicher, ängstlich und unselbstständig und werden sich noch mit 30 im "Hotel Mama" (h)aushalten lassen... Daher ist es wichtig, die Kinder langsam aber sicher loszulassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich entfalten und entwickeln zu können. Nur so wachsen sie zu mutigen, starken, selbstbewussten, anständigen und respektvollen Mitmenschen heran!
Freundliche Grüsse
Andrea Mordasini, Bern