Kitas als Luxushotels. Weshalb sie Chancenungleichheiten verstärken
In der Schweiz war es lange Zeit verpönt, von Elite zu sprechen. Ich erinnere mich gut, als ich in den 1990er Jahren meine Dissertation zum Thema Hochbegabung schrieb und meine Anfrage von den Kantonen – was sie denn für hochbegabte Schüler tun würden – regelmässig mit der Rückmeldung beantwortet wurde: «Wir danken Ihnen für Ihre Anfrage, aber leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir in unserem Kanton keine Hochbegabten haben.» Es erstaunt somit kaum, dass es weder im Schul- noch im Hochschulbereich lange Zeit kaum Institutionen gab, welche die Elite respektive die Exzellenz förderten. Die Schweizer Studienstiftung für begabte junge Menschen wurde beispielsweise erst 1991 gegründet.
Heute hat sich dies diametral geändert. Begriffe wie Talent, Hochbegabung und Elite – insbesondere aber Exzellenz – haben eine fast magische Bedeutung erlangt. Aber es ist nicht nur ihr medienwirksamer Gebrauch («Exzellenzkrippen»; «Exzellenzuniversitäten»; «Exzellenzinitiativen in der Forschung», die «Förderung des exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchses» etc.), der so bedeutsam geworden ist. Vor allem ist es ein grundlegender Perspektivenwechsel, welcher sich im Bildungswesen abzuzeichnen beginnt.
Eine Vorreiterfunktion haben dabei die vielen privaten Institutionen, welche vor Jahren begonnen haben, sich auf dieses Exzellenz-Segment zu konzentrieren. In den öffentlichen Schulen allerdings findet sich der Exzellenzgedanke noch kaum. Zwar gibt es Gymnasien mit einem speziellen Hochbegabten- resp. Talentförderungsprofil oder auch zweisprachige Gymnasien. Auch in der Berufsbildung gibt es solche Leuchttürme. Aber diese Institutionen sind eigentlich erst prominent geworden im Rahmen der zahlreichen internationalen Schulen und der Expats, welche ihnen nachfragen. In der Berufsbildung ist es in erster Linie die Gefahr des Akademisierungstrends.
Am deutlichsten zeigen sich solche Tendenzen im Vorschulbereich, genauer: bei den Kitas. Sie bereiten mir auch am meisten Sorgen. Zwar ist es verständlich, dass sich heute viele Kitas aufgrund des zunehmenden Wettbewerbsdrucks von üblichen Angeboten unterscheiden wollen und deshalb beginnen, sich auf Eltern aus dem oberen Segment als «Exzellenzkrippen» zu präsentieren. Neben den deutlich höheren Kosten unterscheiden sie sich dabei von durchschnittlichen Kitas vor allem in drei Merkmalen:
- In der Art und Weise, wie Eltern angesprochen werden: Eltern werden als hart arbeitende und hochgebildete Klientel verstanden, welche sich mit dem Einkauf der Kita-Leistungen ein Stück Lebensqualität angeln kann.
- In der Vermarktung als «Luxushotels»: Eltern können in die Angebote «einchecken» und sich ihre Wünsche erfüllen lassen. Exzellenz-Kitas preisen sich als «Rundumsorgungspakete» an.
- Im Verständnis von Eltern als hochkarätige Finanzstarke: Eltern bezahlen und haben deshalb auch das Anrecht, eine hohe Anspruchshaltung zu haben. Kitas sind immer für sie da.
Exzellenz-Kitas mit dieser Ausrichtung sind ein Renner. Dagegen ist eigentlich gar nichts einzuwenden! Denn es ist verständlich, dass Eltern, welche in der Lage sind, für solche Kitas den vorgesehenen Betrag zu bezahlen, auch entsprechende Ansprüche haben (und haben dürfen). Deshalb ist es letztlich nicht ihr Problem, dass aus dieser Situation eine neue Problematik entstanden ist. Die Problematik besteht darin, dass diese hochpreisigen Einrichtungen die grossen sozialen Bemühungen unseres Landes unterlaufen, vor dem Schuleintritt allen Kindern die gleichen Chancen zu ermöglichen und dadurch die bestehende soziale Ungleichheit zumindest in Ansätzen abzuschwächen.
Folgedessen liegt die Verantwortung eher bei der Bildungs- und Sozialpolitik als bei den Eltern. Sie muss sich entscheiden, ob sie eher Sozialinvestitionen tätigen und fördern will, welche der Chancengleichheit verpflichtet sind oder Inseln der Exzellenz. Wahrscheinlich möchte sie sich vor allem auf die erste Perspektive konzentrieren. Denn frühkindliche Bildungsförderung hat in den letzten Jahren vor allem dann Anhänger gefunden, wenn es um die Förderung der Chancengleichheit geht. Deshalb – so die Konsequenz – sollen alle Kinder, auch und vor allem solche aus einfachen und benachteiligten Familien, die gleichen Zugangschancen zu Vorschulangeboten erhalten wie privilegiertere Kinder. Leider trifft dies bis anhin in keiner Art und Weise zu. Privilegierte Kinder profitieren ein Mehrfaches von vorschulischen Angeboten als diejenigen Kinder, welche dies am nötigsten hätten. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern eine vielfache und auch international bestätigte empirische Tatsache.
Teure Exzellenzkrippen generieren Barrieren mit nicht gewollten Auswirkungen. Denn von ihnen profitieren vor allem Kinder aus oberen und mittleren Schichten. Offenbar hat es die Schweiz mit ihrer Investitionspolitik in die frühkindliche Bildungsförderung – die ja auch vom Bund in verdankenswerter Weise massgebend mitgetragen wird – bisher noch nicht in ausreichendem Ausmass geschafft, dem frühen Ausgleich von Bildungschancen markant näher zu kommen. Deshalb droht, dass sich unbemerkt und ungewollt ein Paradox entwickelt: Je stärker sich die vorschulischen Bemühungen an ökonomischen Maximen orientieren, desto mehr verkehren unsere Sozialinvestitionen ins Gegenteil. Auf diese Weise wird frühkindliche Bildungsförderung die Bildungsungleichheiten verstärken anstatt die Chancengleichheit fördern.
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