Kaufen Sie Ihre Jeans intuitiv? Hinweise zur praktischen Intelligenz

Haben Sie kürzlich neue Jeans gekauft? Vielleicht die nächsten Ferien mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner geplant? Oder sich einen Kinderwagen angeschafft? Dann können Sie an der Art und Weise, wie Sie zu diesem Entscheid gekommen sind, erkennen, ob Sie im intuitiven Handeln stark oder eher schwach sind und damit auch, wie viel «Praktische Intelligenz» Sie besitzen. Denn in der Forschung gilt Intuition – auch gesunder Menschenverstand, Bauchgefühl, stilles Wissen genannt – als das zentrale Merkmal von praktischer Intelligenz. Entweder gehören Sie den so genannten «Maximizers» oder zu den «Satisficers» (*Gigerenzer, 2008).

Die Maximizers sind diejenigen Menschen, welche sich nur schwer zu einer Entscheidung durchringen. Sie suchen deshalb nach den besten Jeans, den optimalsten Ferien oder dem perfektesten Kinderwagen. Weil Maximizers perfekt sein wollen, suchen sie so lange, bis sie das Gewünschte gefunden haben. Sie wägen ab, suchen im Internet nach entsprechenden Ausführungen oder Beurteilungen und testen alle Alternativen ausführlich gegeneinander ab. Selbst wenn sie sich dann einmal entschieden haben, sind sie immer noch nicht richtig zufrieden damit, denn es könnte ja noch eine optimalere Möglichkeit geben. Ganz anders die Satisficers. Das sind diejenigen, die ihre Suche begrenzen und sich mit der ersten Möglichkeit zufrieden geben. Ist die Jeans hübsch, sitzt sie und gefällt sie, dann nehmen sie diese. Sie überlegen sich nicht weiter, ob es anderswo noch eine bessere gegeben hätte. Die Satisficers handeln intuitiv.

Genauso gilt dies für das Berufsleben. Wenige Satisficers finden sich unter Lehrpersonen, eher viele unter Musikern, Künstlern, Schauspielern, Sportlern oder auch Handwerkern. Professionelle Handballspieler müssen sich in der Zeitspanne eines Wimpernschlags für den richtigen Spielzug entscheiden. Eine begabte Geigenspielerin weiss in jedem Augenblick ohne nachzudenken, in welchem Winkel und mit welchem Druck sie den Bogen ansetzen muss. Und erfahrene Hühnerzüchter – so das Beispiel von Myers** – können sofort sagen, welches Geschlecht das Küken hat, auch wenn sie nicht sagen können, wie sie dies erkennen. In jedem dieser Fälle beruht die Handlung auf schnell verfügbarem Expertenwissen und -können, auf dem Gefühl einer unmittelbaren Intuition.

Was genau hat Intuition mit praktischer Intelligenz zu tun? Als praktische Intelligenz gilt die Fähigkeit, komplexe Probleme im Alltag zu bewältigen und gute Lösungen für sie zu finden. Sie entspricht dem Können von Experten, welchen es gelingt, ihr Wissen oder ihre Strategien aufgrund ihrer Erfahrung in beruflichen Alltagssituationen anzuwenden. Diese Fähigkeit wird als Intuition bezeichnet. Sie gilt als wichtigstes Element des beruflichen Erfolges und als eine Form der Entwicklung von Expertise. Intuition beruht auf Erfahrung, die sich aber häufig gar nicht artikulieren lässt. Gigerenzer spricht deshalb auch von «gefühltem Wissen».

Viel Fachwissen oder ein hoher Intelligenzquotient, aber auch ausgeprägtes Üben, garantieren noch keine berufliche Expertise. Wir alle kennen Leute, die in wissenschaftlich hochstehender Weise über ein Problem reden, zu dessen Lösung aber wenig beitragen können. Umgekehrt beobachten wir immer wieder, dass auch viel Übungsarbeit (oder eine grosse Anzahl an Praktika) noch keine Experten hervorbringt. Diese Tatsache wird in der Expertiseforschung*** nicht auf mangelnde Begabung, sondern auf die mangelnde Qualität von Übungsprozessen zurückgeführt und auf die fehlende Berücksichtigung von Intuition. Gerade weil Intuition auf Erfahrung beruht und auf einfachen Faustregeln, kann sie durch Nachahmung und Erfahrung gelernt werden. Trainierbar ist sie aber nur in Bereichen, in denen man sich bereits etwas auskennt und über ein gesundes Halbwissen verfügt. Wer (noch) wenig davon hat, sollte sich nicht unbedingt auf seine Intuition verlassen.

Wie kann man Intuition lernen? Gigerenzer sagt, dass eine der wichtigsten Faustregeln sei, eine Entscheidung nach nur einem einzigen guten Grund zu treffen, den man als den wichtigsten erachte und die anderen Argumente zu ignorieren. Genau dies wäre auch in Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern wichtig. Aber vielleicht ist ihnen in der Ausbildung antrainiert worden, nicht intuitiv zu sein. Statt zu lernen, mit Unsicherheit umzugehen, lernen sie oft noch mehr Theorie oder in Praktika noch mehr die Praxis. Es versteht sich deshalb von selbst, wenn häufig Angst vor Bauchentscheidungen haben und gar nicht in Erwägung ziehen, auch einmal dem gesunden Menschenverstand zu folgen.

Der Umgang mit Unsicherheit müsste aber eigentlich ein Schwerpunkt der Lehrerausbildung sein und somit auch das Training, wie man lernt, auf seinen Bauch zuhören. Genau dies lässt sich im Alltag bewusst trainieren, indem man beispielsweise seine Jeans, seine Ferien oder den neuen Kinderwagen nach der Faustregel ‚take the best’ auswählt. Auf diese Weise traut man sich wieder zu, vermehrt auf seinen Bauch zu hören.

Literatur

*Gigerenzer, G. (2008). Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. München: Goldmann.

** Myers, D. G. (2007). Psychologie. Berlin: Springer, S. 443.

** Stamm, M. (2014). Praktische Intelligenz und Expertise. In A. Ziegler & E. Zwick (Hrsg.), Theoretische Perspektiven der modernen Pädagogik (S.73-84). Berlin: Lit.

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Kommentare 1

Gäste - Renate Blaes (website) am Freitag, 19. September 2014 18:17

Sorry, ich denke nicht, dass man für den Entschluss, sich eine Jeans zu kaufen, Intuition braucht. Ebenso wenig für den Kauf eines Kinderwagens.
Nix für ungut - aber das Thema an sich gäbe deutlich mehr her an Beispielen, als die hier aufgeführten, die auch sehr "abstrakt" sind.
Was mir überhaupt nicht gefällt, sind mal wieder die englischen Begriffe. Gibt es keine deutschen dafür? Natürlich gibt es die, aber die englischen sind nun mal "en vogue". Leider!
Beste Grüße vom Ammersee - Renate Blaes

Sorry, ich denke nicht, dass man für den Entschluss, sich eine Jeans zu kaufen, Intuition braucht. Ebenso wenig für den Kauf eines Kinderwagens. Nix für ungut - aber das Thema an sich gäbe deutlich mehr her an Beispielen, als die hier aufgeführten, die auch sehr "abstrakt" sind. Was mir überhaupt nicht gefällt, sind mal wieder die englischen Begriffe. Gibt es keine deutschen dafür? Natürlich gibt es die, aber die englischen sind nun mal "en vogue". Leider! Beste Grüße vom Ammersee - Renate Blaes
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