Nannys: Die schwierige Rolle der neuen Schattenmütter

Nannys – auch Kinderfrauen oder Kindermädchen genannt – sind populärer denn je. Einer der Hauptgründe dürfte darin liegen, dass Kita-Plätze für gut verdienende Paare so teuer sind. 3‘500 bis 4500 CHF kostet eine Nanny etwa im Monat, weshalb es sich ab zwei, mit Sicherheit jedoch ab drei Kindern lohnen kann, eine solche zu engagieren. Gerade deshalb dürfte das «Nanny-Sharing» – d.h. wenn mindestens drei Familien gemeinsam eine Nanny engagieren, welche bis zu maximal vier Kinder in einem Haushalt betreuen darf – so gefragt sein. Eine Nanny ist zudem für Eltern mit anspruchsvollen Berufen und langen Arbeitszeiten flexibler als eine Kita und auch in der Lage, kranke Kinder zu betreuen. Oft hat sie eine relativ grosse Lebenserfahrung und eine pädagogische Ausbildung. Wie viele Nannys es in der Schweiz gibt, ist nicht bekannt, weil sie nicht systematisch erfasst werden. Mit Sicherheit dürften es ein paar Tausend sein.

Dass Nannys derart boomen, hat viel mit unserer gesellschaftlichen Ideologie der «perfekten Mutter*» zu tun. Noch nie zuvor sind Stillen, eine starke Mutter-Kind-Bindung und eine gute frühe Förderung als derart bedeutsam für das kindliche Aufwachsen und den späteren Schulerfolg erklärt worden wie heute. Väter bleiben nach wie vor lediglich mitgemeint. Kombiniert man solche Forderungen nach einem «intensive mothering**» mit der empirischen Tatsache, dass in der Schweiz mehr als 60% der Mütter kleiner Kinder ausser Haus und teilweise in anspruchsvollen Berufen arbeiten, so werden die Spannungen, denen Mütter- und folgedessen auch ihre Partner – ausgesetzt sind, mehr als nur deutlich.

Ein Grund, um solche Spannungen und Konflikte zumindest etwas abbauen zu können, ist die Idee, eine Nanny anzustellen. Früh ins Berufsleben zurückkehrende Mütter können so vermeiden, ihr Kind in einer Krippe fremdbetreuen zu lassen, sich gleichzeitig jedoch versichern, dass ihre Kinder nicht unter ihrer Abwesenheit leiden und dabei auch nicht als Rabenmütter bezeichnet zu werden. Mit diesem Entscheid werden allerdings nicht alle Konflikte abgebaut, sondern es entstehen auch neue – und bisher kaum diskutierte.

Denn zu Recht werden Nannys nämlich auch als «Schattenmütter***» bezeichnet. Mit Sicherheit haben sie eine schwierige Rolle in der Familie. Nicht wirklicher Teil der Familie zu sein, aber eben doch mehr als eine Angestellte, idealisiert und manchmal auch dämonisiert. Fragt man im Freundeskreis herum, so wird schnell einmal deutlich, dass jede Diskussion um Nannys starke Emotionen hervorruft – bei denen, welche sie angestellt haben, bei Nannys selbst, aber auch bei den Kindern. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist Winston Churchill, der als Kind seine Mutter nur selten sah und seine Nanny als Mutterersatz idealisierte. Als sie gestorben war, zahlte er Zeit seines Lebens für frische Grabblumen und behielt bis zu seinem Tod ein Foto von ihr auf seinem Nachttisch.

Genau in dieser Emotionalität liegt eines der Hauptprobleme zwischen Schattenmüttern und Müttern. Die Rolle, welche berufstätige Mütter von Nannys erwarten, ist eigentlich eine paradoxe: Einerseits sollen sie eine emotionale Beziehung zum Kind aufbauen, andererseits jedoch auf keinen Fall den Platz der Mutter einnehmen. Also müssen sie gleichzeitig emotional präsent, aber auch emotional abwesend sein. Man könnte dies als egoistisches Verhalten der Mütter abtun. Das wäre jedoch deutlich zu kurz gegriffen, hängt es doch vielmehr mit dem Mutter-Ideal unserer Gesellschaft zusammen, das auch berufstätige Mütter stark prägt. Es besagt, dass Frauen auch trotz höchstem Erfolg im Beruf ihren Mutterpflichten voll und ganz nachkommen müssen, wollen sie als gute Mütter gelten. Und, sich zu versichern, dass sie tatsächlich gute Mütter sind, geschieht am einfachsten dadurch, wie sehr sie von den Kindern geliebt werden. Würde der Nachwuchs jedoch der Nanny den Vorzug geben, wäre dies ein klarer Hinweis dafür, dass die Mutter ihre Hauptaufgabe nicht erfüllt.

Dazu kommt ein anderes Problem, welche die Arbeit von beiden, der Nannys und der Mütter, schwierig macht: der Umstand, dass mit der perfekten Mutter auch das perfekte Kind verbunden ist. Seit die Frühförderung so sehr mit späterem Schul- und Lebenserfolg verknüpft wird, kann Kinderbetreuung weder in der Kita noch in der Spielgruppe und schon gar nicht die Privatbetreuung zu Hause nur mehr darauf ausgerichtet sein, die Kinder zu pflegen, zu hüten und zu versorgen. Gerade gut gebildete Mütter lesen oft Bücher über Kindererziehung, in denen die Meinung vertreten wird, Kinder, die genug Aufmerksamkeit bekommen und die besonders gut gefördert würden, seien vervollkommnungsfähig, d.h., man könne sie klüger, glücklicher und erfolgreicher machen. Das Beste für das Kind tun zu können, muss deshalb auch eine Kompetenz der Nanny sein. Sie soll in der Lage sein, den von ihr betreuten Nachwuchs den Vorstellungen ihrer Arbeitgeber entsprechend zu fördern und den kindlichen Entwicklungsbedürfnissen gerecht zu werden. Gerade deshalb sind zweisprachige Nannys und solche aus dem englischsprachigen Raum besonders begehrt.

Entwickelt sich das Kind jedoch nicht entsprechend den Vorstellungen oder bindet es sich zu sehr an die Nanny, dann wird sie schnell einmal durch eine andere ersetzt. Das ist letztlich das Los vieler Schattenmütter. Weil weder das Ideal der guten Mutter noch die optimale Entwicklung des Kindes gefährdet sein darf, werden sie nicht selten zu auswechselbaren Angestellten, und damit zum Teil einer Kindererziehungsstrategie, die kontinuierlich verfeinert und verbessert werden soll.

 

 

Weiterführende Literatur

*Badinter, E. (2010). Der Konflikt: Die Frau und die Mutter. München: Beck.

**Caputo, V. (2007). She's from a good family': performing childhood and motherhood in a Canadian private school setting. Childhood, 14 (2), 173-192.

***Macdonald, C. L. (2011). Shadow Mothers .Nannys, Au Pairs, and the Micropolitics of Mothering. Berkeley: University of California Press.

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