Starke Kerle für die Kitas? Gedanken zum Männermangel
Tickt ein junger Mann richtig, wenn er sich entscheidet, «Fachperson Kinderziehung HF» zu werden? Viele bezweifeln dies. Weichei, Softie etc. hat ein Jugendlicher aus unserem Bekanntenkreis einstecken müssen, als er seinen Berufswunsch bekannt gemacht hat. Die Gesellschaft wünscht sich eher Männer, die starke Kerle sind, eben Ingenieure, Lokomotivführer oder Informatiker, aber kaum Erzieher in Kinderkrippen. Auch Mütter und Väter denken noch vielfach so: Töchter seien prädestiniert für emotionale, soziale Bereiche, Söhne sollten eher etwas ‚Richtiges‘ lernen und damit einmal eine Familie ernähren können.
Die aktuellen Daten sprechen eine deutliche Sprache: 3‘300 Frauen absolvieren aktuell eine Ausbildung «Fachperson Kindererziehung HF», aber nur gut 300 Männer. Und wieviele von ihnen einmal ihren Beruf tatsächlich ausüben werden, steht in den Sternen. Die Mehrheit der Kitas in der Schweiz hat auch noch keinen einzigen Mann angestellt. Mit dieser Problematik stehen wir allerdings nicht alleine da. Auch in Deutschland sieht die Situation mit ca. 4% Männern in Kitas nicht viel besser aus. Und dies trotz der breit angelegten Initiative «Mehr Männer in die Kitas», die vom Bund mit 13 Millionen Euro seit gut drei Jahren finanziert wird. Selbstverständlich kann man das Glas auch als halbvoll, also positiv, betrachten: Im Jahr 2006 waren es in der Schweiz noch ganze 43 Männer gewesen, welche die Ausbildung absolviert hatten, die heutige Anzahl entspricht damit einer Zunahme von etwa 700%.
Weshalb wäre es denn so wichtig, mehr Männer in Kitas zu haben? Gründe gibt es viele, in erster Linie sind es zwei: Erstens, weil in den Familien oft männliche Bezugspersonen fehlen und Lehrer auch in Kindergärten, Primarschulen und in der Sekundarstufe I äusserst rar geworden sind. Zweitens, weil sich Geschlechtsstereotypien früh festsetzen. Kleine Kinder, die von Männern in der Kita betreut werden (und natürlich auch von Vätern zu Hause …), könnten deshalb schon in den ersten Lebensjahren erfahren, dass es keine typischen Männer- und Frauenberufe gibt. Und dass Erzieher genauso wie Erzieherinnen mit ihnen basteln, singen, werken und spielen, sie trösten und wickeln und ihnen das Essen geben können.
Vor diesem Hintergrund ist es äusserst lobenswert, dass auch hierzulande eine Werbekampagne von KitaS, Curaviva und Männer.ch. im Jahr 2014 gestartet werden soll. Nur stellt sich die Frage, ob dies der einzig richtige Weg ist. Gerade weil die Vorurteile gegenüber Männern in Kitas enorm sind, muss man auch anderswo ansetzen und zwar bei den Berufsberatungen und der Lehrerschaft der Sekundarstufe I. Gerade die Kritik an den Berufsberatungen ist ja nicht neu: Moniert wird seit längerem, sie würden das geschlechtstypische Berufswahlverhalten der Jugendlichen unterstützen. Von Bedeutung wäre deshalb die Frage, wie es Berufsberatungen – aber selbstverständlich auch Lehrkräften – angesichts des Männermangels in Kitas (und auch generell in sozialen Berufen) gelingt, Jugendliche zu ermutigen, auch geschlechtsuntypische Berufe zu wählen. Ziel wäre es, dass gerade auch Berufsberatungen verstärkt mithelfen, die Segregation des Arbeitsmarktes in Frauen- und Männerberufe aufzuweichen und nicht noch zu verfestigen.
Keinesfalls will ich hier Berufsberatungen und Lehrkräfte beschuldigen. Mit Sicherheit versuchen sie, ihr Bestes zu geben. Aber – so vermute ich – sie tappen oft in die Geschlechterfalle. Ein Beispiel: In den Medien kann man immer und immer wieder lesen, dass Erzieher in Kitas wenig verdienen und junge Männer schliesslich einmal eine Familie ernähren sollen. Bereits diese beiden Gedanken können sie – gerade, weil sie ja sowieso zweifeln – davon abhalten, den Beruf Fachperson in einer Kita überhaupt in den Blick zu nehmen.
Neben Berufsberatungen und Lehrkräften gibt es aber noch ein weiteres Problem: Die Tatsache, dass Männer in Kitas als Risikofaktor angesehen werden und oft unter generellen Missbrauchsverdacht gestellt werden. Viele Eltern haben Vorurteile gegenüber männlichem Personal in Kitas, dass sie zu sexuellen Übergriffen neigen würden. 40% der Eltern und 34% des Kitapersonals befürchten dies. Entsprechend berichten mir Kitaleiterinnen immer wieder von Eltern, die wünschen, dass Männer ihr Kind nicht wickeln dürfen. Verbände haben reagiert und einen Verhaltenskodex für ihre Mitglieder ausgearbeitet. Dass dies jedoch ein eigentlicher Akt der Diskriminierung von Männern in Kitas darstellt – davon getraut sich kaum jemand zu sprechen.
Sicher ist, dass es noch viel Entwicklungs- und Veränderungsarbeit braucht, in erster Linie in den Köpfen unserer Gesellschaft. Männer können sehr viel mit kleinen Kindern anfangen, aber solange sie als Erzieher gefragt werden: «Wie lange willst du dies noch machen, hast du nichts Besseres?» ist noch wenig erreicht.
Bildungs- und Sozialpolitik müssen sich dieser Problematik annehmen. Es kann nicht sein, dass einerseits von «den neuen Vätern» gesprochen wird, sie den Vaterschaftsurlaub neu verhandeln will und verlangt, dass Väter nach der Geburt längere Zeit bei der Familie sein können, Männer andererseits jedoch in Kitas quasi inexistent sind. Wie kann sich dann in Kitas widerspiegeln, dass Erziehung, Betreuung und Bildung auch Männersache ist?
Alte Rollenklischees dürfen allerdings nicht wieder aufgewärmt werden: Männer in Kitas sind nicht darauf zu reduzieren, dass sie anders mit den Kindern umgehen, gut Fussball spielen, werken und toben können und den Knaben als Vorbilder dienen sollen. Zwar zeigt die Forschung mit grosser Eindeutigkeit, dass sich Männer anders verhalten als Frauen und die Kinderbetreuung damit bereichern. Aber bisher ist wissenschaftlich nicht belegt, dass Männer in Kitas tatsächlich einen Unterschied machen.
Alle Welt wünscht sich eine Frauenquote in Chefetagen. Grundsätzlich würde ich eigentlich gern für eine Männerquote in Kitas plädieren, z.B. für eine 20%-Quote. Nur, wenn es einfach (noch) zu wenig Männer gibt, die den Beruf ausüben wollen, dann nützt auch die beste Quote nichts. Deshalb müssen wir auch ein andere Segment, als lediglich die jüngsten Männer in den Blick nehmen: Viele Männer in den besten Jahren denken über berufliche Umstiege und Umorientierungen nach, viele Arbeitnehmer 50+ möchten ihre Potenziale, die sie oft im sozialen Bereich entwickelt haben, neu unter Beweis stellen. Weshalb könnten nicht auch ältere Männer im Zuge einer Neuqualifizierung in Kitas tätig werden? Vielleicht sogar ehrenamtlich?
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Kommentare 1
Guten Tag
Ich bin Mutter zweier Kinder, die schon während einem bzw zwei Jahren total begeistert eine „gemischte“ Spielgruppe besuchten. Dass immer mehr Männer in Spielgruppen, Kitas, Kindergärten und Schulen arbeiten und sich um die Kleinsten kümmern, ist toll und eine grosse Bereicherung für alle Kinder! Denn wer sagt, dass ausschliesslich Frauen die besseren Kinderbetreuer sind? Gerade Kinder, insbesondere Jungs, die die ersten Lebensjahre vor allem um weibliche Betreuungspersonen (Mütter, Kita- und SG-Leiterinnen, Kindergärtnerinnen sowie Lehrerinnen) sind, profitieren und lernen zusätzlich von den männlichen Betreuern enorm! Dass in einigen erwachsenen Köpfen leider immer noch das falsche Bild des Pädophilen steckt, ist bedauerlich. Es ist endlich an der Zeit und dringend notwendig, diese Vorurteile, Ängste und Sorgen abzubauen und sich gegenüber Männern in Betreuungsberufen zu öffnen. Sie sollten die genau gleichen fairen und gerechten Chancen haben, ihren Traumberuf ohne unnötigen Schikanen, Hürden und Hintergedanken zu erlernen und auszuüben. Ich wünsche mir sehr, dass männliche Betreuer in Zukunft normal, selbstverständlich und die Regel statt die Ausnahme sein werden. Dank dem nötigen Vertrauen und der Einsicht, dass männliche Erzieher ein unverzichtbarer Gewinn für Kinder wie Eltern sind, sind wir auf dem richtigen Weg zur ausgeglichenen und ausgewogenen Fremd- bzw. Schulbetreuung!
Freundliche Grüsse
Andrea Mordasini, Bern