Tango Argentino oder: Starke Männer, schwache Frauen?
Drei Wochen lang haben wir im vergangenen November in Buenos Aires die Geheimnisse des Tango Argentino ergründet und uns in vielen Tanzstunden und vor allem in so genannten Milongas bemüht, ihn auch zu tanzen zu lernen. Milonga ist der Name für eine regelmässig stattfindende Tangotanzveranstaltung, meist zwischen 22 Uhr und morgens 4 Uhr. Wer Nacht für Nacht, zum Tango tanzen zu einer Milonga geht, wird deshalb Milonguero oder Milonguera genannt. Nun, jenseits des täglichen Übens waren die Milonga-Besuche für mich so etwas wie ‚praktische Genderforschung'.
Wohl jeder kennt Fotos von Frauen in Netzstrümpfen, hochhackigen Schuhen und roten Kleidern und Männer mit Hosenträgern und Hüten, die Tango tanzen. Mit Rudolfo Valentino entstand das Bild des Tango tanzenden Latin Lovers. Bekanntlich gilt der argentinische Tango seit damals als Macho-Tanz: der Mann in dominanter Pose mit einer sich ihm unterwerfenden Frau. Die Aussage von Angel Fabian Coria, einem der berühmtesten Tangotänzer und -lehrer in Buenos Aires «Die Frau hat im Tango nur da zu sein» würde hierzulande wohl viele entrüsten, wenige wahrscheinlich begeistern. Diese Aussage begegnet einem überall, und vordergründig ist sie gar nicht so abwegig. Frauen in aufreizenden Roben und Männer, die mit ihren Partnerinnen mit Blick auf einen möglichen Rivalen gekonnt übers Parket wirbeln. Stimmt aber so nicht: Zwar übernimmt der Mann die aktive Rolle und die Frau folgt seiner Führung. Aber: Ihre Ausdrucksmöglichkeiten sind vielfältig und sie ist es, welche die Nähe zum Partner bestimmt. Milongueras, so meine Beobachtung, begeben sich offenbar beim Tangotanzen in die traditionelle Rolle, im wahren Leben jedoch nicht. Kann man somit den Geschlechterkampf auch tanzen?
Worüber ich am meisten die Augen gerieben habe: Diejenigen Argentinierinnen und Argentinier, welche ich in den Milongas beobachten konnte, leben ihre Geschlechterrollen ganz anders als wir. Und ich habe nicht selten gestaunt, wie modern sie dies tun. So hat mir eine etwa dreissigjährige, sehr gut aussehende Tänzerin, ihres Zeichens Professorin für Computerwissenschaften, ganz selbstverständlich erklärt: «Sicher gebe ich mich dem Tanz hin und dem Mann die Führung. Ich nehme die traditionelle Rolle ein, aber ich distanziere mich gleich wieder. Das wahre Leben ist ganz anders».
Balsam wäre dies für viele Männer- (und Frauenseelen?) hierzulande. Jedenfalls habe ich den Eindruck bekommen, als ob man in Argentinien noch weiss, was ein ‚richtiger' Mann, was eine ‚richtige' Frau ist und sein darf. Und ich glaube, man hat zur eigenen Geschlechtsrolle ein viel, viel unverkrampfteres Verhältnis. Als ich auf einer Milonga, auf der viele ältere Tänzer waren, eine Milonguera fragte, wie sie es mit dem Thema »Machismo« halten und ob sie sich als Feministin bezeichnen würde, antwortete sie ohne zu zögern mit «si», deutete dabei auf ihren Mann und sagte mit gewissem Stolz: «Ich habe ihn gezähmt, denn er ist jetzt Feminist.» Er lachte jedoch etwas verlegen, als sie erklärte: «Die Männer leiden mehr als wir unter dem Machismo. Sie werden dazu erzogen, stark zu sein und keine Emotionen zu zeigen.»
Tango Argentino vielleicht als Therapie für Männer? Nun, Tatsache ist, dass gute Tänzer auf den Milongas sehr begehrt sind, nicht nur 20- bis 40jährige, auch ältere 50-, 60- oder gar 70-jährige. Körpergeruch, Manieren oder politische Haltungen spielen dabei eine sehr untergeordnete Rolle. Aber auch die guten Milongueras sind sehr begehrt. Und wenn ein Milonguero, welcher eines besonders gut kann – die Mirada und den Cabeceo – dann ist er der heimlichen Star. Mirada meint Blickkontakt und Cabeceo die leichte Nickbewegung des Kopfes in Richtung Tanzfläche. Denn wenn die Milonguera den Cabeceo mit einem Lächeln professionell bestätigt, dann holt er sie von ihrem Platz ab und bittet sie auf die Tanzfläche. Alle Augen sind dann auf dieses Paar gerichtet.
Aber es gibt auch eine Rückseite dieser Medaille, die mir reichlich abstrus erschienen ist. Auf fast jeder Milonga hatte es nämlich Frauen, die den ganzen Abend nie zum Tanzen aufgefordert wurden. Ich habe mich gefragt, weshalb sich dies Frauen antun, stundenlang wie bestellt und nicht abgeholt dazusitzen und am Schluss des Abends frustriert zu sein. «Der Mann führt, die Frau gehorcht» würde in dieser Hinsicht eine Emanzipation der Frauen benötigen.
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Kommentare 1
Ich stimme mit Ihnen überein, dass sehr Tango alte Geschlechterrollen zelebriert. Ich tanze mit meinem Ehemann Tango Argentina und liebe es leidenschaftlich. Ich bin eine moderne, unabhängige, selbstbewusste Frau. Aber für die Dauer eines Liedes ist es sehr befreiend die Führung abzugeben. Nur zu spüren, was der Tänzer vor mir (im Tango ist es üblich die Tänzer zu wechseln und nicht immer mit dem gleichen zu tanzen) von mir möchte. Was sein Körper ausdrückt, den mein Körper aufnimmt und umsetzt, ohne überlegen, sondern nur fühlen. Das ergibt den vollkommenen "Flow". Wenn das passiert, dann sind die 3 Minuten eines Musikstückes, wie das Wegdriften in eine andere Dimension.
Zumal der Mann Macho sein, in unseren Breitengraden sehr lernen muss. Wenn er und die Tänzerin nicht stolz, aufrecht und in guter Körperspannung dastehen, dann können sich die zwei zu wenig spüren. Der Mann als Macho kann nur glänzen und seine Tanzpartnerin glänzen lassen, wenn er die Führung so klar gestaltet, dass die Frau sie auch versteht und umsetzen kann.
Deswegen ist der Tango Argentino nicht ein Verharren auf alten, traditionellen Geschlechterrollen im negativen Sinn, sondern Geschlechterrollen, die Sinn machen. Spass machen,sie so explizit auszufüllen. Und wem das nicht genügt, es gibt auch Quertango, in denen Führen und Folgen von Frau oder Mann ausgefüllt werden kann.
Vielleicht war es schon früher so, dass das was man sieht nicht immer das ist, was dahinter ist.