Der Mann in der Krise. Ein Rückblick auf die Quotendiskussion des Jahres 2012
Das Jahr 2012 ist – so scheint es mir – in medialer Hinsicht das Jahr, in dem Frauen über Männer schreiben und zum Ausdruck bringen, wo überall es mit der männlichen Emanzipation hapert. Noch nie konnte man so viele Medienberichte, Zeitungsartikel und Essays zum Thema Mann in der Krise lesen. Und jetzt kommt die ganze Quoten-Diskussionen dazu. Oft basieren sie auf eng geführten Denkwegen und Diskussionen, die kaum zum Ziel führen und auch den Kern der Problematik nur unzureichend treffen.
Kürzlich habe ich in einem lesenswerten Aufsatz von Christoph Kucklick in DIE ZEIT seine Ausführungen zum Mann als verteufeltem Geschlecht gelesen. Er schreibt darin, dass er in einer anspruchsvollen Fachzeitschrift den Satz gefunden habe, der Mann sei das problematische Geschlecht des Jahrhunderts. Solche Sätze liest man auch in populären Heftchen und Journalen (‚Der Fortschritt wird durch Frauen erzielt‘; Frauen sind viel pragmatischer als Männer‘; ‚Frauen sind die besseren Netzwerker‘ etc.). Es gehe nicht vorwärts mit der Emanzipation, Männer würden stecken bleiben, vor allem in der Entwicklung ihrer Soft Skills.
Solche Aussagen sind problematisch. Sie verweisen darauf, dass wir die Abwertung des Männlichen als Teil unserer gewordenen Kultur gar nicht mehr wahrnehmen und reflektieren. Männlichkeit ist gemäss Kucklick zur Kurzform für unsere gesellschaftlichen Missstände geworden. Recht hat er! Man untersuche nur einmal die redundanten Erklärungsmuster zur männlichen Dominanz in gesellschaftlichen Krisen – wie etwa der Finanzkrise. So hat beispielsweise eine hoch angesehene Bankenchefin in einem Interview die Position vertreten, dass uns die Finanzkrise im vollen Ausmass erspart geblieben wäre, wenn wir nicht nur ‚Lehman Brothers‘, sondern auch ,Lehman Sisters‘ gehabt hätten. Wo liegt also die Rettung? Bei den Frauen, an ihnen soll sich der Mann therapieren.
Frauen müssen somit die neue Lösung sein. In historischer Sicht sind sie es auch. Der grosse Fortschritt des Feminismus und der Emanzipation ist der, dass das Bild der Frau, ihre Position und ihr Selbstverständnis gründlich und zu Recht renoviert worden ist. Das Männerbild jedoch nicht. Diese selektive Behandlung hat allerdings Nachteile für die Frauen mit sich gebracht und zwar deshalb, weil ihnen nicht die gleiche moralische Verantwortung zugeteilt wird resp. sie bisher nicht die gleiche moralische Verantwortung übernehmen mussten. Aus der Geschlechterforschung wissen wir zur Genüge, dass es nicht in erster Linie die Hormone sind, welche das Verhalten bestimmen, sondern soziale Zuschreibungen und Erwartungen. Frauen können genauso unmoralisch, verantwortungslos oder egoistisch sein wie Männer, und sie können auch zu gleichen Anteilen wie Männer häusliche Gewalt ausüben – nur auf unterschiedliche Art.
Deshalb ist Kucklick‘s Forderung sehr zu unterstreichen: Wir brauchen eine Desillusionierung des Weiblichen, indem wir ein soziales Gespür entwickeln für offene und verdeckte Formen männerfeindlicher Ideologien. Aus diesem Blickwinkel haben Frauenquoten etwas Gutes an sich. Denn wenn Frauen endlich in angemessener Stärke Führungspositionen und Macht erlangen würden, dann könnten Verwaltungsräte jenseits des Geschlechts frei entscheiden: Vielleicht eine Frau als ‚echten Kerl‘ einstellen, die eher rücksichtslos führt, Entscheide durchzieht und unbeugsam ist. Oder einen teamorientierten und einfühlsamen Mann, der sich immer bewusst ist, dass er Menschen führt. Wir würden so erkennen, dass die Welt zwar fairer wird, aber auch das Weibliche unsere Welt nicht besser machen kann. Unseren «Moralhaushalt zu renovieren» (Kucklick), wäre eigentlich unsere erste gesellschaftliche Aufgabe auf dem Weg, die historische Leistung des Feminismus zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
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