Unsichtbare Tagesmütter. Weshalb interessiert sich kaum jemand für ihre Arbeit?
Geht es um Betreuungsprobleme kleiner Kinder, dann spricht alle Welt von Kinderkrippen, vielleicht noch von Nannys oder Au Pairs, aber kaum von Tagesmüttern (Tagesväter sind sozusagen nicht zu finden). Offenbar interessiert sich kaum jemand für ihre Arbeit. Das ist sehr erstaunlich, denn Forschungsergebnisse – wie diejenigen aus unserer FRANZ-Studie* (siehe Abbildung unten) belegen, dass durchschnittlich 22% der Vorschulkinder durch Tagesmütter betreut werden. 21% der Kinder besuchen keine familienergänzende Betreuung und in 4% der Fälle ist eine Nanny für sie zuständig. 34% gehen in eine Krippe und 19% sind teilweise in der Obhut von Verwandten. Dabei muss berücksichtigt werden – und dies ist aus der Abbildung nicht ersichtlich – dass bei mehr als 60% der Kinder die familienergänzende Betreuung an mehr als zwei Orten stattfindet.
Grundsätzlich sind Tagesmütter sehr beliebt, auf dem Land stärker als in Grossstädten und Agglomerationen. Dies gilt sowohl für unsere FRANZ-Studie als auch die NUBBEK-Studie**. Und: Kinder sind bei Tagesmüttern in den besten Händen. Nicht nur, weil sich für Eltern Betreuungszeiten individuell regeln und vereinbaren lassen, was für berufstätige Eltern ein grosser Vorteil ist, sondern auch, weil ihnen die Forschung ein gutes Zeugnis ausstellt und diese Betreuungsform in einem gewissen Alter förderlicher ist als die Kita. Zusammengefasst zeigt eine umfassende österreichische Studie***:
- Tagesmütter sind für kleine Kinder (bis 2 Jahre) die ideale Betreuungsform.
- Kleine Kinder haben bei Tagesmüttern ein stärkeres Geborgenheitsgefühl als in einer Kita und entwickeln zu ihnen eher sichere Bindungsbeziehungen als zu Erzieherinnen und Erziehern in einer Kita.
- Diese Form der Bindungsqualität fördert die kognitive Entwicklung des Kindes.
- Tagesmütter behandeln beide Geschlechter gleich, währendem in Kitas Mädchen bevorzugt werden.
- In Tagesfamilien sind Absprachen besser möglich, weshalb sie auch bessere Verhaltensanpassungen erlauben.
Eigentlich sind derart gute Forschungsergebnisse erstaunlich, denn für Tagesmütter werden schon lange eine bessere Qualifizierung und mehr Professionalität gefordert. Deshalb muss man einen differenzierten Blick auf diese Resultate werfen. Sie stammen nämlich aus der Tagespflege in Österreich, die dort deutlich professioneller organisiert ist als in der Schweiz. Zudem dürften sie auch mit der Auswahl der Tagesmütter zu tun haben, denn geprüft wurden nur diejenigen, welche sich freiwillig gemeldet hatten.
Aktuell ist die Situation in der Schweiz die, dass eine regelmässige Arbeit als Tagesmutter lediglich eine Bewilligung erfordert, ausgestellt durch die Gemeindebehörde. Eine solche Bewilligung bekommt, wer erzieherisch, charakterlich und gesundheitlich in der Lage ist, die Aufgabe als Tagesmutter verantwortungsbewusst und kindgerecht zu erfüllen. Familienangehörige fallen nicht unter die Bewilligungspflicht. Im Allgemeinen verfügen Tagesmütter nur über eine relativ bescheidene Ausbildung.
Mit Sicherheit haben Tagesfamilien als Angebot familienergänzender Betreuung ein grosses Potenzial. Es ist also nur zu begrüssen, wenn Standards für ihre Qualifizierung eingeführt werden. Und ebenso wünschenswärt wäre es, wenn es Werbekampagnen für Tagesfamilien geben würde, denn bislang stehen Kitas viel zu sehr im Mittelpunkt.
*Stamm, M. et al. (2012). Früher an die Bildung – erfolgreicher in die Zukunft? Familiäre Aufwachsbedingungen, familienergänzende Betreuung und kindliche Entwicklung. Schlussbericht zuhanden der Hamasil Stiftung und der AVINA Stiftung. Universität Fribourg: Departement Erziehungswissenschaften.
** Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK) in Deutschland (2012). http://www.nubbek.de/.
***Ahnert, L. (2012). http://www.hilfswerk.at/cms/download/b7ctl/N%C3%96-Tagespflege.pdf
Ähnliche Beiträge
By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://margritstamm.ch/
Kommentare