Bis dass der Tod Euch scheidet: Das Phänomen lebenslanger Ehen
erschienen in: Aargauer Zeitung/Nordwestschweiz, 16.03.2015
Lange Ehen sind ein Phänomen, weil es immer weniger von ihnen gibt. Gemeint sind damit Paare, die im Anschluss an das Jawort 30, 40, 50 oder mehr Jahre verheiratet bleiben. In der Schweiz werden jedoch 43 von 100 Ehen nach durchschnittlich 14.3 Jahren geschieden. Was steckt somit hinter den Paaren, die für immer zusammenbleiben, bis dass der Tod sie scheidet? Ist es die ewige Liebe oder eine notwendige Routine? Oder gibt es sogar ein Geheimnis, eine Art Glücksformel für die Erhaltung der feurigen Leidenschaft?
Nein, die scheint es kaum zu geben und auch keine Rezepte. Zwar liest man in Ratgebern immer wieder davon, und sie tönen auch ganz griffig: «Seien Sie etwas grosszügiger mit ihm, gönnen Sie ihm seine Männerrunde!» «Bringen Sie ihr regelmässig Blumen nach Hause, und vergessen Sie auf keinen Fall ihren Geburtstag.» «Nennen Sie einander nicht Mama und Papa!» oder «Hören Sie nie auf, Ihre Gattin beim Fortgehen oder Heimkommen zu küssen!» Doch sind solche Tipps bei weitem keine Anleitungen zur lebenslangen Ehe, sondern lediglich kurios und nervig. Folgt man dem Psychotherapeuten Irvin D. Yalom im Film «Yaloms Cure», dann sind Ehen genauso individuell wie die Eheleute selbst.
Dies bestätigt auch ein Blick in das wissenschaftliche Wissen, das allerdings erstaunlicherweise dürftig ist. Trotzdem lassen sich, natürlich stark vereinfachend, vier Typen lang verheirateter Paare herausfiltern: «Die unzertrennlich Symbiotischen», «die raumsuchenden Individualisten», «die aneinander Wachsenden» und «die zweckgerichteten Rationalisten». Für die «unzertrennlich Symbiotischen» ist es unerträglich, nicht beisammen sein zu können. Abstand vom anderen haben zu müssen, empfinden sie als Verletzung. In ihrer langen Ehe sind sie sich so gut wie nie von der Seite gewichen. Deshalb können sie die Zeit, die sie getrennt verbringen mussten, genau benennen. Ganz anders «die raumsuchenden Individualisten», deren Ehe von einer grossen Dynamik gekennzeichnet ist. Ihnen genügen ein gemeinsames Fundament und wenige geteilte Interessen, um sich einander zugehörig zu fühlen. Dafür brauchen sie viel Freiraum, um Neues zu wagen und sich trotzdem vom anderen inspirieren zu lassen. Das Gemeinsame muss Raum lassen für das Eigene und Persönliche, sonst beengt es. Dies trifft für «die aneinander Wachsenden» nicht zu. Sie haben kontinuierlich die Bereitschaft entwickelt, beruflich, privat und in der Liebe durch den anderen zu wachsen und aus dem Ich viel Du entstehen zu lassen. Der Ehepartner wirkt wie ein Korrektiv, an dem man sich misst und der vielleicht sogar zum Vorbild wird. Davon unterscheiden sich «die zweckgerichteten Rationalisten», bei denen das Zusammenbleiben aus den verschiedensten Gründen notwendig war. Manchmal waren es religiöse oder finanzielle Gründe, manchmal Gesundheitsprobleme, Depressionen oder Neurosen des Ehepartners, oft standen aber auch mangelnde Alternativen im Vordergrund oder das zweckgerichtete Zusammenbleiben, um nicht einsam zu werden.
Die lange Ehe gibt es somit nicht im Singular, sondern nur im Plural. Trotzdem verfügen solche Ehen auch über gemeinsame Merkmale. Erstens sind zwar nicht alle, aber doch die meisten, aus der grossen Liebe entstanden, vielleicht sogar aus der Liebe auf den ersten Blick, den die Franzosen «coup de foudre» nennen. Doch hat dieser «Blitzschlag» mit dem, was nach den langen Ehejahren da ist, wenig zu tun. Liebe, Vertrautheit oder Unzertrennlichkeit, was immer das Geheimnisvolle auch ausmacht, wächst und verändert sich. Zweitens ist die lange Ehe ein arbeitsreicher Prozess. Es braucht eine gemeinsame Basis, mindestens ein paar geteilte Interessen, aber auch die Einberechnung von Krisen und – vor allem – die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen.
Was lässt sich folgern, wenn es keine Glücksformel gibt? Wenn man mit 25 Jahren heiratet und 60 mögliche Ehejahre vor sich hat? Sicher nicht, dass man die lange Ehe als ewige Liebe verklärt. Diese ist ein Mythos. Lange Ehen brauchen ebenso ein Quäntchen Glück und Zufall. Aber auch wenn man sich deshalb nur auf eine «Ehe auf Zeit» und vielleicht auf 10 oder 20 Jahre einstellt, tut man gut daran, sich auf ein paar Erfolgsfaktoren lebenslanger Ehen einzustellen.
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